Was ist Demokratie
des Parlamentes in Frage stellt. Doch bewegt sich die Demokratie in letzter Zeit wieder von einer allzu strikten Auffassung des freien Mandats weg: Denn das soll ja nicht heiÃen, dass die Abgeordneten nach der Wahl tun können, was sie wollen, ohne noch auf ihre Wähler zu hören. Rechenschaft und Verantwortlichkeit «vor Ort», besonders im eigenen Wahlkreis, spielen eine gröÃere Rolle.
Damit erscheint neben dem Modell des Interesses und dem des ganzen Volkes ein drittes Prinzip, nach dem die Abgeordneten die Bevölkerung in ihrem Wahlbezirk repräsentieren, auch diejenigen, die anderen Kandidaten ihre Stimme gegeben haben. Dieser Gedanke ist umso stärker ausgeprägt, je mehr das Parlament aus Personen- bzw. Mehrheitswahlrecht hervorgeht; also weniger in Deutschland, mehr in England und den USA. Und schlieÃlich gibt es noch die Theorie, nach der das Parlament die Bevölkerung in bestimmten feststehenden Merkmalenabbilden solle: nach Beruf oder nach Geschlecht, in letzter Zeit aber vor allem in ihrer ethnischen oder auch religiösen Pluralität. So werden in den USA Wahlkreise teilweise so zugeschnitten, dass Afro-Amerikaner einen Sitz im Repräsentantenhaus erlangen können. Manchmal sollen auch die beiden «Häuser» oder «Kammern» eines Parlaments verschiedene Prinzipien der Repräsentation zum Ausdruck bringen, zum Beispiel indem der amerikanische Senat oder der deutsche Bundesrat die verschiedenen Bundesstaaten bzw. Bundesländer repräsentieren.
Dieser Föderalismus erinnert auch daran, dass in fast allen Demokratien das Prinzip der Repräsentation auf verschiedenen Ebenen des Staatsaufbaus angewandt wird: nicht nur auf der nationalen Ebene, sondern auch in regionalen und kommunalen Einheiten, in Stadtparlamenten und Gemeinderäten. In Deutschland ist dieser vertikale Pluralismus der Repräsentation, aus historischen Gründen, besonders deutlich ausgeprägt. Anderswo genieÃt die nationale Ebene, das nationale Parlament einen deutlichen Vorrang: nicht aus falschem Nationalismus, sondern weil in ihm der Kern der Volkssouveränität gesehen wird, und auch historisch oft gelegen hat, so wie in Frankreich. Deshalb tun sich manche Länder mit einer starken demokratischen Tradition wie GroÃbritannien besonders schwer, Rechte an eine neue und übergeordnete Stufe der Repräsentation abzugeben: an das Europäische Parlament.
Fundamentale Kritik der repräsentativen Demokratie und des Parlamentarismus gibt es bis heute. Teils wirken in ihr, wie in Deutschland, antidemokratische Haltungen und eine Parlamentsverachtung nach, wie sie auf fatale Weise die Weimarer Republik geprägt haben. Besonders pointiert tritt diese Kritik auch immer wieder in Frankreich hervor, wo man in der Tradition Rousseaus gerne die direkte Demokratie und den unmittelbaren Vollzug des Volkswillens zum Ideal nimmt. Als Stachel im Fleisch spielt diese Kritik, gerade auch der Appell an die möglichst unmittelbare Demokratie, eine wichtige Rolle in der Veränderung von Demokratie während der letzten drei bis vier Jahrzehnte: Repräsentation und Parlament alleine machen die Demokratie nicht mehr aus. Andererseits spricht alles dafür, dass Parlamente ein Eckpfeiler der Demokratie bleiben und die Demokratie ihren repräsentativen Kern so schnell nicht verlieren wird.
2 Ãberzeugungen und Interessen:
Ursprünge der Parteibildung
Politische Parteien genieÃen nicht immer den besten Ruf. Sie sollen Interessen der Bevölkerung vertreten, aber viele Menschen empfinden die Parteipolitik, die sie heute meist nur aus den Massenmedien kennen, als weit entfernt von ihren eigenen Problemen. «Parteienverdrossenheit» ist ein häufiges Schlagwort für diese Stimmung. In der Bundesrepublik Deutschland sind etwa 1,5 Millionen Menschen Mitglied in einer politischen Partei; das ist weniger als jeder vierzigste Erwachsene. Jüngere Menschen bleiben den Parteien zunehmend fern und betreiben Politik in anderen Organisationen: in Bürgerinitiativen, Menschenrechts- oder Umweltgruppen. Viele engagieren sich politisch, ohne überhaupt organisiert zu sein, zum Beispiel durch soziale Netzwerke im Internet. Geht die Zeit der Parteiendemokratie zu Ende?
Historisch ist die Geschichte der modernen Demokratie ganz eng mit der Entwicklung von Parteien verknüpft. Die athenische Demokratie kannte keine Parteien. In der späten Römischen
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