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Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Titel: Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Hoerster
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widerlegt. Ist damit aber etwa eine Gesetzmäßigkeit bewiesen, wonach das Trinken vonBiotee
stets nicht
gegen Kopfschmerzen hilft? Mit Sicherheit nicht; denn es kann ja durchaus der Fall sein, dass der Biotee manchmal hilft und manchmal nicht hilft. Und es kann sogar der Fall sein, dass der Biotee in
jedem künftigen
Fall helfen wird, dass seine Unwirksamkeit also auf die Vergangenheit beschränkt war.
    Ja sogar dann, wenn der Biotee in der Vergangenheit trotz zahlreicher Versuche noch
niemals
geholfen hat, dann ist dies zwar für den Anhänger der induktiven Methode ein guter Grund für die Annahme, dass der Biotee auch in Zukunft nicht helfen wird. Aber gerade für K, den «kritischen Rationalisten», ist dies doch offenbar kein guter Grund für diese Annahme. Denn er ist es doch, der sich grundsätzlich weigert, aus Vergangenem auf Zukünftiges zu schließen. Die vergangene Falsifizierung einer Gesetzeshypothese kann für K also immer nur einen Grund darstellen, das betreffende
Gesetz
für widerlegt zu halten, nicht aber auch die betreffende
Zukunftsprognose
zu verwerfen. Aus der Prognose folgt ja nicht logisch zwingend das Gesetz; aus dem Gesetz folgt vielmehr logisch zwingend die Prognose.
    Nach alledem läge es für den «kritischen Rationalisten», wenn er konsequent wäre, in Reaktion auf die vergangene Falsifizierung einer Hypothese mindestens ebenso nahe, auf ihre künftige Bestätigung wie auf ihre künftige Widerlegung zu setzen. Denn wenn K nicht der Induktion vertraut, was kann für ihn dann dagegen sprechen, für die Zukunft gerade das Gegenteil des Vergangenen zu erwarten? Warum hat K also nicht etwa die folgende Erwartung: Gerade deshalb, weil die Sonne bisher täglich aufgegangen ist, wird sie zum Ausgleich dafür eine ebenso lange Zeit, wie sie in der Vergangenheittäglich aufgegangen ist, in Zukunft nicht mehr aufgehen? Warum sollten wir es ab sofort nicht einmal mit dieser Hypothese versuchen?
    Natürlich würde sich eine solche Hypothese, wenn wir sie schon einmal in der Vergangenheit akzeptiert hätten, bis heute nicht bewährt haben. Denn wir wissen, dass die Natur bis heute ihre entsprechende Konstanz bewahrt hat. Aber wieso können wir ebenfalls wissen oder auch nur rationalerweise annehmen, dass das, was bis heute galt, auch morgen noch gelten wird – es sei denn, aufgrund von Induktion? Ja, wieso können wir rationalerweise annehmen, dass die Zukunft überhaupt noch
irgendeiner
Regel – ob der bisherigen Regel oder einer neuen Regel – folgen wird und nicht schon morgen in ein völlig regelloses Chaos stürzt – es sei denn, aufgrund von Induktion? Man sieht: Die «kritischen Rationalisten» gehen in ihrer Theorie unseres Wissens immer wieder stillschweigend von Voraussetzungen aus, die sie zuvor ausdrücklich als unbegründet, irrational und überflüssig verworfen haben.
    Überflüssig aber scheint die induktive Methode für ein rationales Weltverständnis seitens der «kritischen Rationalisten» ebenso wenig wie seitens aller anderen Menschen auch zu sein. Hier noch zwei weitere Beispiele für die Selbstverständlichkeit, mit der jeder halbwegs normale Mensch die induktive Methode seinem alltäglichen Verhalten zugrunde legt.
    Beispiel 1.
Als ich vor Jahren einmal von der Terrasse eines Wolkenkratzers die nächtliche Aussicht auf New York genoss, fiel plötzlich der Strom aus. Damit funktionierten auchdie Aufzüge nicht mehr. Da das Ende des Stromausfalls nicht abzusehen war, entschloss ich mich, zu Fuß durch das dunkle Treppenhaus herunterzugehen, was über eine halbe Stunde dauerte. Trotz des unangenehmen Abstiegs hätte ich es nicht für vernünftig gehalten, die Hypothese aufzustellen und zu testen, dass Menschen, die aus einer Höhe von über 300 m mit weit ausgebreiteten Armen zur Erde springen, zum Schluss sanft zur Erde schweben.
    Nun könnte man vielleicht sagen, dass meine genannte Hypothese doch längst falsifiziert sei, da materielle Objekte aus einer entsprechenden Höhe schon mehr als einmal durchaus unsanft auf der Erde gelandet seien. Doch dem könnte ich, wenn ich ein «kritischer Rationalist» wäre, entgegenhalten, dass ich ja schließllich nicht ein beliebiges Objekt, sondern ein Lebewesen sei und dass eine Falsifikation im Fall von Lebewesen mir nicht bekannt sei, ja dass, was jedenfalls Lebewesen wie Vögel angeht, die Hypothese offenbar schon zahlreichen Falsifikationsversuchen widerstanden habe. Und selbst dann, wenn bereits einige Menschen aus der

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