Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen
als Selbstzweck ansieht, in Wahrheit für ihn keinen Wert dar.
Statt dass A zum Zeitpunkt seiner Wertentscheidung über die näheren Umstände seines Vorhabens nicht hinreichend
aufgeklärt
oder informiert ist, kann es auch der Fall sein, dass A zwar hinreichend aufgeklärt ist, dass er aber – etwa weil psychisch krank oder in betrunkenem Zustand – nicht hinreichend
urteilsfähig
ist. Auch in diesem Fall wird man sagen müssen, dass seiner positiven Bewertung der betreffenden Bergtour bzw. Berufstätigkeit nicht wirklich ein Wert entspricht, da A nicht in der Lage ist, die positiven und negativen Seiten seines Vorhabens rational, also kühl und sachlich gegeneinander abzuwägen. An der notwendigen Urteilsfähigkeit als Voraussetzung rationaler Bewertung fehlt es in vieler Hinsicht insbesondere bei Kindern.
Es kann somit offenbar auch vermeintliche Eigenwerte geben. Und es kann sogar ignorierte Eigenwerte geben – im Sinn von Eigenwerten, die der Betreffende als solche betrachten
würde,
wenn er hinreichend aufgeklärt und urteilsfähig wäre. Zwar wird sich die Frage, was jemand – unter den genannten hypothetischen Bedingungen – als Eigenwert betrachten würde, häufig nur schwer beantworten lassen. Ausgeschlossen erscheint eine solche Antwort, sofern man den Betreffenden gut kennt, jedoch nicht. So erscheint es zum Beispiel nicht unwahrscheinlich, dass etwa für einen intelligenten und hochmusikalischen Asiaten, der noch nie den Namen «Johann Sebastian Bach» gehört hat, dessen Musik tatsächlich einen – von ihm ignorierten – Eigenwertdarstellt. Und vielleicht zeigt sich in der Zukunft, dass diese Annahme richtig war.
Wir können aus alledem den Schluss ziehen: Selbst ein in der Realität als Eigenwert verfolgtes Ziel kann, objektiv betrachtet, nur dann wirklich als ein Wert für den Betreffenden gelten, wenn er seine Bewertung in einem Zustand der Urteilsfähigkeit und der Kenntnis aller für diese Bewertung relevanten Fakten vorgenommen hat. Insofern besitzt jedes als wertvoll verfolgte Ziel, soll es tatsächlich für den Bewertenden einen Wert darstellen, neben dem subjektiven Element der persönlichen Wertschätzung durch den Bewertenden immer auch noch ein objektives Element. Im Fall eines Instrumentalwertes ist dies die tatsächliche Eignung dieses Wertes als Instrument zur Realisierung des erstrebten Eigenwertes. Im Fall eines Eigenwertes ist dies die Urteilsfähigkeit und Informiertheit des Bewertenden. Im ersten Fall handelt es sich um ein inhaltliches, im zweiten Fall um ein formales Element unseres Wissens. Ebenso wie ein falsches Medikament für den Arzt, der Leben retten will, keinen Wert besitzt, besitzt auch das Laufen über den nicht ausreichend gefrorenen See für das Kind, das aus Spaß über den See laufen möchte, keinen Wert. Nicht jedes reale Wollen oder Handeln verkörpert auch einen Wert.
Im Bereich der Verhaltenswerte gibt es, so wie sie verfolgt werden, sowohl Werte, die sich nur auf das eigene Verhalten richten, als auch Werte, die sich auch auf das Verhalten anderer richten. In die erste Kategorie fallen – nach dem Verständnis der meisten Menschen – etwa ästhetische Werte wie zum Beispiel ein Konzertbesuch. In die zweite Kategorie fallen – nach dem Verständnis der meisten Menschen – insbesonderemoralische Werte wie zum Beispiel die Respektierung fremden Eigentums. Denn moralische Werte sind gewöhnlich mit dem Wunsch und mit der Forderung nach allgemeiner Zustimmung verbunden.
Von besonderer Bedeutung ist natürlich die Frage, inwieweit sich diese Forderung nach allgemeiner Zustimmung wirklich begründen lässt. Und eine besondere Brisanz gewinnt diese Frage dort, wo es um die sogenannten Grundwerte – verstanden als moralische Grundwerte – im Bereich der Politik geht. Als die zentralen Grundwerte werden in der gegenwärtigen westlichen Welt neben Freiheit und Gerechtigkeit vor allem die Menschenrechte und die Demokratie betrachtet. Wie aber können wir wissen, dass dies tatsächlich Werte sind, die vernünftigerweise von jeder Gesellschaft, also universal als Werte betrachtet und akzeptiert werden? Und wie können wir dieses Wissen fremden Gesellschaften vermitteln, die diese Grundwerte bislang nicht als solche betrachtet und akzeptiert haben?
Zunächst einmal: Die Tatsache, dass vermutlich die meisten Menschen in unserer Gesellschaft diese Werte sogar als Eigenwerte akzeptieren, schließt nicht aus, dass diese Werte für uns alle ebenfalls wichtige
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