Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen
Denn es wäre ja denkbar, dass vor mir ein Esstisch steht und ich entweder an Sehstörungen leide oder mit dem Wort «Schreibtisch» die falsche Bedeutung verbinde. Trotzdem kann ich behaupten, zur Zeit jedenfalls als sicher annehmen zu dürfen und zu wissen, dass vor mir ein Schreibtisch steht, da zur Zeit nicht der geringste Grund für mich besteht, an diesem Wissen zu zweifeln. Denn es gibt bislang keinerlei Indizien etwa für die Annahme, dass ich unter Sehstörungen leide oder dass ich meine sprachliche Kompetenz verloren habe.
Ich würde es für wenig informativ, ja für irreführend halten, wenn ich etwa sagen würde, dass ich nur im Sinne einerHypothese
vermute,
dass vor mir jetzt ein Schreibtisch steht, oder dass alle Menschen sterben müssen oder dass die Erde rund ist. Denn es gibt eine Vielzahl von Gelegenheiten, bei denen ich tatsächlich und mit gutem Grund sage, dass ich etwas nur vermute bzw. für (mehr oder weniger) wahrscheinlich halte. So würde ich etwa sagen, dass ich vermute, dass es sich bei dem Tier, das ich in einiger Entfernung von meinem Haus gerade durch den Wald laufen sehe, um einen Fuchs handelt, oder dass es zu meinen Lebzeiten keinen neuen Weltkrieg geben wird oder dass der gegenwärtige Klimawandel nicht nur naturbedingt ist.
Ich würde es in der Tat für unangemessen und irreführend halten, wenn ich alle sechs soeben genannten Annahmen, die ich mache, unterschiedslos einfach als «Vermutungen» bezeichnen und damit über einen Kamm scheren würde. Es gibt nun einmal Annahmen, in denen wir uns – vernünftigerweise – durchaus sicher fühlen, und Annahmen, die wir – ebenfalls vernünftigerweise – nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit verbinden. Die Tatsache, dass es für keine ein zige unserer Annahmen oder Überzeugungen so etwas wie die
unfehlbare Garantie einer absoluten Wahrheit
gibt, ändert am Bedeutungsgehalt und an der Zweckmäßigkeit dieser Unterscheidung nichts.
2. Was wissen wir durch logisches Denken?
Es gibt, wie schon gesagt, sehr unterschiedliche Arten von Wissen. So ist etwa mein Wissen, dass zwei plus eins gleich drei (2 + 1 = 3) ist, offenbar von ganz anderer Art als mein Wissen, dass in meinem Arbeitszimmer ein Schreibtisch steht. Worin besteht der Unterschied?
Mein Wissen, dass in meinem Arbeitszimmer ein Schreibtisch steht, betrifft eine Tatsache der wahrnehmbaren Welt und wird mir vermittelt durch die Sinne. Ganz anders verhält es sich mit meinem Wissen, dass zwei plus eins gleich drei ist. Dieses Wissen beruht nämlich auf einer Beziehung oder Relation zwischen sprachlichen Ausdrücken: Ich brauche nur die sprachliche Bedeutung der in der Aussage vorkommenden fünf Ausdrücke («zwei», «eins», «drei», «plus» und «ist gleich») zu kennen, um sagen zu können, dass die Aussage wahr ist. Eine sinnliche Wahrnehmung benötige ich hierzu nicht.
Es ist also nicht etwa so, dass unser Wissen der Tatsache, dass zwei plus eins gleich drei ist, darauf beruht, dass wir immer dann, wenn wir in der Realität zwei Objekte mit einem Objekt zusammenbringen, die zusammengebrachten Objekte als drei Objekte sinnlich wahrnehmen. Letzteres ist zwar oft der Fall: Wenn ich zwei Jungen und einMädchen in ein leeres Zimmer sperre, kann ich anschließend drei Kinder in dem Zimmer wahrnehmen. Es ist aber keineswegs immer der Fall: Wenn ich zwei Katzen und eine Maus in einen leeren Käfig sperre, kann ich anschließend unter Umständen nur zwei Tiere in dem Käfig wahrnehmen.
Dass zwei plus eins gleich drei ist, beruht lediglich auf der sprachlichen Bedeutung der in der Aussage enthaltenen Ausdrücke: Jeder, der diese Ausdrücke versteht, wird die Aussage für wahr, ja ihre Wahrheit für notwendig halten. Dass die Aussage wahr ist, erscheint logisch zwingend; ihre Wahrheit ist, so gesehen, eine
logische
Wahrheit. Häufig wird eine in diesem Sinn logische Wahrheit auch als
analytische
Wahrheit bezeichnet.
Ihrem Wesen nach ist die Aussage bekanntlich eine mathematische Aussage, die sich, wie oben dargestellt, in derselben Bedeutung auch mithilfe mathematischer Zeichen ausdrücken lässt. Sofern auch weitere, ja vielleicht sogar sämtliche mathematischen Aussagen ihre Wahrheit der Bedeutung der in ihnen vorkommenden Zeichen oder Ausdrücke verdanken (wofür vieles spricht), ist auch ihre Wahrheit eine logische Wahrheit.
Aber auch wenn sämtliche mathematischen Wahrheiten logische Wahrheiten sind, so sind doch mit Sicherheit nicht sämtliche logischen Wahrheiten
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