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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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kümmern. Das wurde so von den Kindern und Erben erwartet. Da Silvia fast die gesamte Abwicklung mit dem Haus übernommen hatte, fühlte ich mich für den Grabstein verantwortlich. Ich sah mir die Gräber seiner Nachbarn an. Marmor schien schwer angesagt zu sein, und ich dachte: Na ja, dann vielleicht was aus Marmor. Aber ich war mir nicht sicher, ob das nicht zu unoriginell war, und fragte mich: Muss ein Grab originell sein?

    So wie ich das sehe, könnte man das Wort »originell« streichen und hätte trotzdem noch eine legitime Frage. Ich bin nicht gläubig. Mein Vater war es ebenso wenig, auch wenn der Pfaffe bei der Beerdigung was anderes behauptet hat. Von wegen »guter Christ« und so.
    Die Sonne schien milde, es war eisig kalt. Ich starrte auf die kleine Parzelle vor mir und versuchte, irgendetwas Großes zu fühlen.
    Es gelang mir nicht.
    Ich kam mir nur wahnsinnig verloren vor, und es machte mir schwere Schultern, dass ich nichts empfand. Wodurch ich dann ja doch etwas empfand, aber nur, weil es um mich selbst ging. Als mir das auffiel, wurden meine Schultern noch ein bisschen schwerer.

8
    Â»Sieht aus, als fängt das heute noch an zu schütten.«
    Hubert steht auf dem Hof neben dem Traktor. Er hat die Fäuste in die Seiten gestemmt und betrachtet skeptisch den Himmel. Susi liegt auf dem Rasen und furzt. Es stinkt bestialisch, nach langsam wegfaulenden Gedärmen.
    Â»Tatsache«, sage ich.
    Â»Gibt gleich Mittag«, sagt Hubert.
    Â»Ach so«, sage ich.
    Â»Meine Frau sagt, du warst nicht beim Frühstück?«
    Â»Nee, äh, ich bin nicht so der Frühstücker«, lüge ich.
    Â»Sie sagt, wenn du willst, kannst du mit uns essen.«
    Â»Sehr gerne.«
    So ein Familienessen ist mir eigentlich eher unangenehm. Da gehöre ich nicht hin. Ich war vor Jahren mal mit Holger bei seinen Eltern, wir wollten nur eine Matratze abholen und wurden genötigt, zum Abendessen zu bleiben. Da fühlte ich mich wie ein Eindringling. Aber jetzt knurrt mein Magen, und ich will auch niemanden brüskieren, die sind hier ja alle so nett zu mir.
    Â»Dann komm rein, Junge. Gleich öffnet Petrus seine Schleusen.«
    Â 
    Ich trete meine Schuhe auf einer Fußmatte mit der Aufschrift »VIP-Lounge« ab.

    Â»Hat der Sohnemann gekauft«, sagt Hubert mit Blick auf die Matte. Warum wundert mich das jetzt nicht?
    Ich folge ihm ins Haus, wo es schon nach Mittagessen riecht. Außerdem nach Geschichte. Nach fast fünfhundert Jahren Familiengeschichte. Vorbei an jeder Menge Urkunden und einer Ahnengalerie, die sich über den ganzen Flur erstreckt, erreichen wir das Esszimmer.
    Die Wände sind mit den Geweihen von Rehböcken verziert. Es müssen Dutzende sein. Dazwischen ein Hirschgeweih und über dem Fenster zum Hof ein paar Wildschweinhauer. Außerdem gibt es mehrere ausgestopfte Tiere: einen Auerhahn, einen Mäusebussard, eine Wildkatze. Nicht dass ich einen Auerhahn von einem Mäusebussard unterscheiden könnte, doch Hubert klärt mich stolz auf. Er hat diese Tiere fast alle selbst geschossen.
    Als Hauptattraktion thront am Kopfende des Raums ein großer Wildschweinkopf. Er sieht irgendwie zu echt aus, um echt zu sein. Aber was weiß ich schon von der Kunst des Ausstopfens, oder Wildschweinen an sich.
    Darunter hängt ein auf alt gemachtes Poster mit Familienstammbaum. Ein ziemlich großes Poster mit ziemlich kleinen Buchstaben in ziemlich vielen Kästchen.
    493 Jahre.
    Hubert und ich setzen uns. Flo trägt mit seiner Mutter Teller und Schüsseln herein. Es gibt selbst gemachte Buletten, braune Soße, Kartoffeln, Erbsen und Möhren.
    Da geht’s schon los.
    Ich bin Vegetarier, aber ich sage das eher ungern, wenn ich mit Fremden zusammen esse. Die wollen dann immer sofort darüber reden. Meistens sagen sie so was wie »Ach, wie interessant« oder »Das finde ich toll!«. Und danach kommt fast immer der Satz: »Ich könnte das ja nicht.«

    Dabei interessiert es mich gar nicht, ob jemand Fleisch isst oder nicht. Nichts läge mir ferner, als jemanden bekehren zu wollen. Die Phase hatte ich mit sechzehn, und mit sechzehneinhalb war sie auch schon wieder vorbei. Da Fleischesser sich aber immer gleich erklären oder verteidigen wollen, sage ich meist gar nichts und hoffe, dass sie es nicht bemerken.
    Das geht in diesem Jägerhaushalt natürlich nicht. Dass ich die Buletten von Frau Arend

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