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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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das auf dem Gepäckträger sitzt und kichert.
    Gegenüber einem wirklich sehr gemischt wirkenden Gemischtwarenladen - »Spielwaren, Reiseandenken, Angelgeräte« - liegt der einzige Supermarkt des Ortes, von dem Flo gestern erzählt hat und der, wie ich jetzt sehe, den Namen »Unser Dorfladen« trägt. Das ist ja noch besser als Frau Schenks »Spätkauf«!

    Â»Unser Dorfladen« ist kaum größer als mein Wohnzimmer und fungiert nebenbei als Bäckerei, Post, Getränkemarkt und Zeitschriftenladen. Ein einsamer Ständer voller T-Shirts, Hemden und Blusen steht zwischen Kühltruhe und Getränkekisten, daneben ein kleines Regal mit Schulbedarf.
    Sie haben allerdings weder Coffee to go noch belegte Brötchen im Angebot, also kaufe ich bei einer gut gelaunten Mittdreißigerin einen Schokoriegel und eine Flasche Cola. An irgendwen erinnert sie mich, mit den langen braunen Haaren, dem kräftigen Gebiss und den irgendwie komisch stehenden Augen.
    Â»Schönen Tag noch, tschö!«, ruft sie, und dabei fällt’s mir ein: Sofia Coppola, sie sieht aus wie Sofia Coppola!
    An einem Automaten an der Ecke ziehe ich Zigaretten. Ich muss mit Luckies vorliebnehmen. Benson & Hedges gibt es nicht. Dafür aber einige Sorten, die ich für längst ausgestorben hielt: Roth-Händle, Peter Stuyvesant, Reval, Ernte 23 sowie eine mir bisher unbekannte Marke namens Route 66. Neben Zigaretten kann man hier auch Kaugummis, »Nimm2«-Bonbons und Feuerzeuge ziehen.
    Wahrscheinlich in Ermangelung von Späti oder Nachttankstelle.
    Aber wo ist dann der Wodka-Automat?
    Â 
    An der B 53 setze ich mich mit meinem süßen Frühstück in das Holzhäuschen einer Bushaltestelle. Ich habe Renderich soeben einmal der Länge nach durchquert. Es hat maximal zehn Minuten gedauert.
    Der Busfahrplan neben mir ist ein Dokument der Einsamkeit. Werktags fahren ganze sieben Busse, der letzte um 17:45 Uhr. Samstags und sonntags sind es jeweils drei.

    An den Wänden ein paar Spuren von Jugendlichkeit. Mit dem Edding hingeschmierte Slogans, die hauptsächlich den Geschlechtsverkehr in seinen unterschiedlichen Variationen zum Thema haben.
    Â»Valerie König ist eine sexgeile Schlampe.« Handynummer daneben.
    Die auf Pappschilder geklebten und hoch an die Laternenpfähle gehängten Plakate gegenüber neben der Bushaltestelle werben für die »Wer kriegt wen?«-Singleparty, die vor über einem Monat in Bernkastel-Kues stattgefunden hat, sowie für unterschiedliche Veranstaltungen auf irgendwelchen Marktplätzen oder in privaten Scheunen.
    Â»Hoffest! Schmatzen und Schlürfen in des Winzers Scheune. Mit Bilderausstellung, Schinkenplatte und Livemusik. Auf Ihr Kommen freut sich Familie Thomas Beurer.«
    Â 
    Ich rauche zwei Zigaretten direkt nacheinander, überquere die Landstraße und laufe einen Trampelpfad zur Mosel runter. Ein frischer Wind bläst mir ins Gesicht. Die Wolken hängen wie schwere Flocken tief am Himmel, als würden sie jeden Moment herunterfallen. Am Ufer klappt ein Mann den Sonnenschirm vor seinem Wohnwagen zusammen. Dann passiere ich einen kleinen Tunnel, der mich unter der Landstraße hindurch zurück ins Dorf führt.
    Durch steile kurvige Gassen laufe ich den Hügel hinauf. Pflastersteine. Krumme Häuser mit spitzwinkligen Dächern und schweren Gardinen in den Fenstern. Grüne Vorgärten, Getöpfertes. Geranien, die sich wuchernd über Fensterbänke ergießen. Ich höre Vögel zwitschern, und irgendwo bimmelt ein Windspiel vor sich hin.
    Aber irgendetwas stimmt hier nicht. Es dauert einen Moment, bis ich bemerke, dass kein Mensch zu sehen und kein
menschliches Geräusch zu hören ist. Keine Stimmen, keine Musik, kein Kindergeschrei. Nicht mal Verkehrsgeräusche. Es ist halb zwölf vormittags an einem Donnerstag mitten im Juni, und es gibt keinerlei Anzeichen menschlichen Lebens.
    Ich komme mir vor wie in einem Museum. Ein Museum, welches zwar gehegt und gepflegt wird, aber keine Besucher mehr hat. Alles konserviert, in Folie verpackt, dazu verdammt, für immer so zu bleiben, weil nichts Neues reinkommt. Die Blumen, die Architektur, die ganze unheimliche Idylle, von einem stillen Gesetz befohlen. Verordnete Schönheit. Wie die Geisterstädte auf unserer Reise durch die Südstaaten, für Touristen hergerichtet, für Durchreisende arrangiert.
    Innerhalb eines halbstündigen

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