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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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her. Das ist halt die Kehrseite der Medaille . «
    Â»Ja«, sage ich und frage mich: Welche Medaille eigentlich?
    Â 
    Als wir langsam über eine mit Schlaglöchern übersäte Piste ruckeln, redet Flo über die jetzt leerstehenden Hangars auf diesem Gelände. »Ein Riesengelände ist das, RIESIG!« Er macht eine ausladende Bewegung mit der linken Hand. Dann geht es um die Militärstützpunkte der Amerikaner in Ramstein, Bitburg, Landstuhl, Kaiserslautern und Hasselbach.
    Â»Hasselbach war mal eine richtig krasse Raketenbasis. Cruise Missiles mit nuklearen Sprengköpfen und so. Jetzt findet da im Sommer das Nature One statt. Europas größtes Technofestival. Meine Musik ist das ja nicht gerade.«
    Er spricht Techno deutsch aus, mit weichem »ch«. Dass er mit elektronischer Musik nichts anfangen kann, überrascht mich nicht gerade. Flo ist eindeutig der Typ »handgemachter Rock«, Hauptsache »ehrlich« und »schnörkellos«, oder was es da wieder für Attribute gibt.
    Â»Aber da boxt der Papst im Kettenhemd, das sag ich dir. Da kommen die Leute aus ganz Europa. Vor ein paar Jahren ist da mal einer liegengeblieben. Überdosis. Seitdem gibt’s
am Festivalwochenende ohne Ende Polizeikontrollen, da machste dir kein Bild. Die ganz Gewieften vergraben mittlerweile schon Wochen vorher ihren Stoff auf dem Gelände.«
    Stoff , was ist das denn schon wieder für ein Wort, das benutzen doch nur noch Hundertjährige, die auch noch von Rauschgift und Haschischspritzen reden.
    Und dann denke ich, Stoff, ach, herrlich, ich könnte jetzt auch was gebrauchen. Nur ein kleines Näschen. Einmal den nassen Zeigefinger in ein Tütchen MDMA dippen. Ein halbes Pillchen vielleicht.
    Oder wenigstens mal wieder eine rauchen.
    Â»Judith, können wir demnächst mal eine kurze Pinkelpause machen?«
    Â»Ich dachte, wir fahren zu einer Aussichtsplattform«, antwortet sie, »da gibt es einen super Ausblick über das Moseltal. Ist nicht weit von hier. Bis dahin haltet ihr das noch aus.«
    Â»Wir?«, frage ich.
    Â»Ja. Du, deine Blase und deine Lunge.«
    Diese Judith sagt ja nicht viel, aber blöd scheint sie nicht zu sein.
    Wir wenden an einer Müllanlage, an der sich meterhohe Blöcke von gepresstem Kunststoff türmen. Ich kurbel das Fenster runter. Es riecht, als würde man den Kopf in eine Plastiktüte stecken und tief einatmen.

    Auf einem Schotterparkplatz lässt Judith den Wagen ausrollen. Es hat aufgehört zu regnen, die Sonne reißt ein großes Loch in die Wolken, als wollte sie zeigen, dass sie an diesem Junihimmel immer noch der Boss ist. Es riecht frisch und modrig zugleich, nach Regen, Gras, Erde, Wald.

    Ich überlege kurz, ob ich so tun soll, als müsste ich wirklich pissen, lasse es aber bleiben und zünde mir lieber gleich eine Zigarette an.
    Ãœber uns flattert eine nasse Deutschlandfahne lustlos im Wind. Unter uns schlängelt sich die Mosel kurvenreich in Richtung Norden.
    Die Zigarette schmeckt unfassbar gut. Gierig sauge ich den Rauch in meine Lungen und mit ihm die feuchtwarme Luft. Der Rauch verlässt meinen Körper, schwer und mächtig und grau wie die Schlieren von Nebel, die über den Wäldern der Hügel hängen. Aus dem schmalen Tal darunter steigt eine dicke, dunstige Suppe auf.
    Während Judith im Wagen herumkramt, stellt Flo sich neben mich und stützt sich mit den Ellbogen auf dem in der Sonne funkelnden Geländer ab.
    Â»Ist das nicht schön hier?«, sagt er. Es ist mehr Feststellung als Frage. »Viel besser wie in der Großstadt.«
    Viel besser als in der Großstadt, denke ich, sage es aber nicht.
    Â»Du siehst das vielleicht etwas anders. Aber Städte wie Berlin oder Köln oder New York, die laufen einem ja nicht weg, da kann man ja mal hinfahren. Zum Leben wäre uns das viel zu stressig. Hier ist alles so schön entschleunigt, man lebt und arbeitet in der Natur, und vor allem mit der Natur, da weiß man immer, warum man was tut, da kann man noch richtig durchatmen.« Um das zu beweisen, schließt er die Augen und atmet geräuschvoll schnaufend durch die Nase ein und ebenso geräuschvoll schnaufend wieder aus.
    Â»Und wenn man Kinder hat, das stelle ich mir ja richtig anstrengend vor in der Stadt, ich mein, Kinder brauchen doch Platz, die müssen doch auf Bäume klettern und Hütten bauen und so!«

    Â»Ja, na ja«, sage ich.

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