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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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Platzhalter-Unterhaltung. Mehr Hülsen als Wörter.
    Was hatte ich mir nur dabei gedacht, sie alle zusammen einzuladen?
    Endlich wurde das Essen serviert. Beschäftigung für Hände und Münder. Das Besteck klapperte tapfer gegen die immer länger werdenden Gesprächspausen an. Ich trank so viel ich konnte. Meine Mutter wurde nach dem zweiten Glas ganz rot im Gesicht. Mein Vater dagegen wurde immer blasser.
    Später fing Silvia aus lauter Verlegenheit wieder mit der Dissertation an. Opferte sich auf und erzählte Einzelheiten zu Ablauf, Umfang und Inhalt: »Europäisches Umweltrecht in Zeiten der Globalisierung«. Ihr war natürlich klar, dass ihr keiner wirklich zuhörte. Meine Eltern hatten keinen Schimmer, worum es überhaupt ging, und auch ich konnte ihr kaum folgen.
    Trotzdem stellte ich eine blöde Frage nach der anderen, um das Gespräch so lange wie möglich in Gang zu halten.
    Nach dem dritten Glas Wein verlor meine Mutter die Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu heucheln. Sie hatte wohl das Gefühl,
wir könnten an meinem Geburtstag nicht die ganze Zeit über Silvia reden, und fing deshalb aus heiterem Himmel mit meinen Zukunftsaussichten an.
    Da gab’s nicht viel zu reden. Kein Beruf, keine Freundin, kein Besitz, kein Plan, kein Bock. Das Thema war auch eigentlich seit Jahren abgehakt, keine Ahnung, wieso das nun wieder auf den Tisch kam.
    Auf einmal ging es um mein abgebrochenes Studium. Journalismus wäre doch genau das Richtige gewesen, ich hätte doch als Kind schon so viel geschrieben, ich wäre doch so talentiert gewesen. Mein Vater gab ihr Recht. Eine seltene Eintracht. Geboren aus der bloßen Notwendigkeit, zu sprechen.
    Ich war genervt. Ich fühlte mich wie ein dummer kleiner Junge.
    Dabei ging es mir ja gut. So viel Spaß wie ich haben die beiden in ihrem ganzen Leben nicht gehabt. Im Gegenteil, sie haben sich das Leben versaut. Gegenseitig. Die mussten mir nun wirklich nichts erzählen.
    Aber das konnte ich ja so nicht sagen, sonst wäre die Situation doch noch eskaliert.
    Das Dümmste auf der Welt ist, wenn man sich wie ein dummer kleiner Junge fühlt, obwohl man weiß, dass es dafür überhaupt keinen Grund gibt.
    Als die Teller abgeräumt wurden, war ich besoffen. Aber nicht in gut, nicht in schön, nicht in leicht. Alles war schwer. Der Wein, die Luft, die Schultern. Alle am Tisch wussten, dass eigentlich mal wieder jemand etwas sagen musste, aber keiner tat es. Nicht mal Silvia. Meine große Schwester, der Leuchtturm in finsterer Nacht, der Fels in der Brandung, jeder Situation gewachsen. Saß bloß da und grinste mich bitter an. »Sorg du jetzt mal für die Unterhaltung«, sagten ihre Augen, »ist doch deine Party.«

    Ich ließ mir die Rechnung bringen. Musste meiner Mutter zehnmal versichern, dass ich den Betrag bezahlen konnte, dass ich gar nicht so pleite war, wie sie immer dachte, und dass sie sich mal keine Sorgen um mich machen sollte. Wir umarmten uns umständlich und gingen in vier verschiedene Richtungen davon.
    Das nächste Mal haben wir uns dann ein paar Monate später an seinem Grab getroffen.
    Ich hab den Abend immer verbucht unter: wenigstens ist keiner dem anderen an die Kehle gegangen. Erst jetzt fällt mir auf, was für eine traurige Imitation eines Familienessens das war. Wenn ich mich recht erinnere, hat mein Vater nicht mal seinen Kochen-Witz gemacht.
    Auf dem Heimweg wurde ich fast noch von einem Auto überfahren. Ist aber nichts passiert. Ich glaube, ich war noch saufen. Oder ich bin nach Hause. Keine Ahnung.
    So viel jedenfalls zum Thema Familienessen.
    Können wir jetzt mal langsam los?

9
    Â»Das ist natürlich schade jetzt mit dem Wetter«, ruft Flo mir vom Beifahrersitz zu. Er muss schreien, um den aufs Autodach hämmernden Regen zu übertönen. Ein Sound wie tausend Percussions. »Na ja, wir fahren einfach ein bisschen rum, okay?«
    Â»Okay«, sage ich.
    Der Wagen schraubt sich durch serpentinenartige Kurven den Berg hinauf. Judith fährt ziemlich schnell. Es geht so steil bergauf, dass ich Druck auf den Ohren bekomme. Die Scheibenwischer arbeiten schwer gegen den Regen an, das Duftbäumchen am Rückspiegel pendelt wie verrückt hin und her, am Wegesrand biegen sich lange dünne Bäume im Wind.
    Ich beuge mich nach vorne und stütze die Ellbogen auf den Vordersitzen ab, wie damals, auf einer unserer vielen Fahrten ins

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