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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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Tod aufgefallen, wie ähnlich wir uns in dieser Beziehung waren.
    Deswegen gebe ich jetzt sein Geld fürs Reisen aus. Ich mache das nicht für ihn, sondern für mich. Weil es besser ist als alles andere, was man mit dem Geld anfangen könnte. Vielleicht auch, weil ich Angst davor habe: Besitz. Ein Klotz am Bein. Hält gefangen und ruiniert Leben.
    Das hier ist meine letzte Reise von der Kohle. Und so sehr ich es auch genossen habe, in der Welt unterwegs zu sein - ich bin froh, wenn das Scheißgeld endlich weg ist.
    Â 
    Das alles hätte ich sagen können, reinen Tisch machen, mich erleichtern, wie auch immer man das nennen würde, stattdessen sitze ich nur da und rauche und atme erleichtert aus, als Judith vorschlägt, sich auf den Rückweg zu machen.
    Wir sind schon am Wagen, da geht Flo nochmal zurück und holt die leere Wasserflasche, die ich hinter das Geländer
geklemmt habe. Ich weiß erst gar nicht, was er damit vorhat, bis mir klar wird, dass er gerade Pfand einsammelt.
    Ich habe seit Jahren kein Flaschenpfand mehr weggebracht. Ich lass es immer einfach liegen oder stell es an die Straße. Irgendwer wird schon vorbeikommen und es mitnehmen. Aber so was wie Pfandgeier gibt es hier wohl nicht. Der nächste Obdachlose sitzt wahrscheinlich in der Altstadt von Koblenz und bettelt Loreley-Touristen an.
    Dampfend steigt schwüle Luft vom Asphalt auf, legt sich wie ein Film auf die Haut, während sich der Wagen langsam ins Moseltal zurückschlängelt. Ich könnte dringend eine kalte Dusche vertragen.
    Vorher steuern wir aber noch einen der Arend’schen Weinberge an. Flo will mir unbedingt zeigen, wie es da aussieht. Judith bleibt im Wagen sitzen. Sie ist wahrscheinlich schon tausendmal hier gewesen.
    Wir klettern den Hügel nur zur Hälfte hinauf, trotzdem bin ich komplett nassgeschwitzt. Unvorstellbar, dass hier oben Menschen körperliche Arbeit verrichten. Mit einem Eimer herumkraxeln, in der prallen Sonne oder im Regen, sich bücken und mit der Hand die Trauben von der Rebe rupfen. Wie leicht man auf diesem lockeren Schieferboden abrutschen, wie schnell man sich hier sämtliche Knochen brechen kann. Und das für ein paar Euro die Stunde, die dann auch noch auf die Stütze angerechnet werden. Wenn ich arbeitslos wäre und mir das hier als Job zugeteilt würde, ich würde mich auch krankschreiben lassen.
    Â»Das hier ist unser steilster Südhang. 74 Prozent Steigung«, sagt Flo und geht in die Hocke. Ich kann ihn mir jetzt gut als ambitionierten Sportstudenten vorstellen.
    Meine Lungen pfeifen. Das viele Rauchen. Bei dem Gedanken kriege ich sofort Bock auf Nikotin. Ich fummle eine
Zigarette aus der Hosentasche und lass mich neben Flo auf den Schieferboden fallen.
    Er sagt, dass das Wetter gerade optimal fürs Wachstum sei, der Regen bei konstanter Wärme, dass viel Wachstum aber auch viel Arbeit bedeute, wegen dem Beschnitt, dem Einkürzen der Triebe und wegen der Pilzkrankheiten. Er zeigt mir auch, was zurzeit gemacht wird.
    Â»Aufbinden. Dabei werden die Triebe an den Reben fixiert. Ist’ne Menge Maloche, aber wichtig, vor allem für die Schädlingsbekämpfung.«
    Er ist aber nicht mehr so ausschweifend in seinen Erklärungen. Vielleicht will er schnell zu Judith zurück. Vielleicht schwant ihm aber auch, dass er es gestern und heute etwas übertrieben hat. Oder er ist noch gekränkt, weil ich ihn vorhin mitten im Vortrag stehengelassen und auf seine letzten Bemerkungen gar nicht mehr reagiert habe. Und dann dieser Blick, den ich ihm vorhin zugeworfen habe.
    Ich weiß, dass ich ziemlich böse gucken kann. »Wenn Blicke töten könnten!«, hat meine Mutter früher oft gesagt, wenn ich sauer war. Muss irgendwie mit meiner Gesichtsphysiognomie zu tun haben. Im Radetzky wirkt das auch immer. Einmal habe ich mit dem Blick eine Schlägerei beendet. Habe die zwei Streithähne vorm Tresen einfach angestarrt, bis sie vor Schreck aufhörten und den Laden verließen. Holger war tief beeindruckt. »Hast du gesehen, wie die geguckt haben? Die haben sich in die Hose geschissen!«, rief er hysterisch kichernd. »Wie die aussahen! Hast du gesehen, wie aus die sahen!«
    Mist, jetzt tut mir Flo fast ein bisschen leid. Er hat mir ja eigentlich nichts getan. Im Gegenteil. Der ist nun mal so. Er meint es ja nur gut.

    Ich heuchle schnell ein wenig Interesse. Fasse eine Rebe an, frage ihn, wonach sie

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