Was kostet die Welt
und krumm und fahl.
Von da an sahen wir uns wieder ab und zu. Ausgesprochen haben wir uns nie. An den zwei bis drei Tagen im Jahr, an denen wir uns trafen, durfte nichts die heile Welt stören.
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Ich wollte das Haus nach seinem Tod sofort verkaufen. Ich verband nichts Gutes damit, auÃerdem war es hässlich. Ein Flachdachkasten wie aus dem Katalog, umgeben von Dutzenden identischen Flachdachkästen. Ein kleinbürgerliches Eigentumsghetto, von Hecken umzäunte Langeweile, bescheidener Wohlstand für Leute, die vom Leben nichts mehr erwarten.
Silvia hat gezögert. Die Immobilienpreise waren im Keller, und an dem Haus war seit Jahren nichts mehr gemacht worden. Aber was sollte sie machen, sie war ja gerade erst mit Markus zusammengezogen und schrieb an ihrer Doktorarbeit, da konnte sie sich nicht auch noch darum kümmern.
Auf dem Haus lagen noch achtzigtausend Euro Schulden. Das war fast genauso viel, wie es zehn Jahre zuvor gekostet hatte. Statt weiter das Darlehen abzuzahlen, hatten meine Eltern alles Geld für ihren Rechtsstreit verballert. Mein Vater machte ständig neue Schulden, verlor alles.
Die Einzigen, die die ganze Zeit über an dem Streit verdient haben, waren Anwälte und Gutachter. Und natürlich die Bank. Die beschissene Bank verdient wahrscheinlich immer noch daran, weil sie mit im Grundbuch steht. Der zuständige Sachbearbeiter kann abends sicher vor Lachen nicht einschlafen.
Nach Abzug der Darlehen und der ganzen Gebühren blieben ein paar Tausend Euro für jeden. Dazu kamen der Mercedes und der ganze Kleinkram. Insgesamt hat mir Silvia fünfzehntausend Euro überwiesen. Nicht gerade viel, was nach einem Leben der Plackerei übrig bleibt, dachte ich.
Aber ich hatte noch nie in meinem Leben so viel Geld besessen. Nicht mal annähernd.
Mein Vater ist nie viel gereist. Er konnte jederzeit den Kilometerstand seines Mercedes in Ãquator-Umrundungen umrechnen, doch das Land hat er mit dem Wagen nie verlassen.
Silvia meinte, er hätte ganz früher oft von Prag erzählt. Er wusste alles, Karlsbrücke, von wem und wann und wie gebaut. Aber ohne jemals dort gewesen zu sein. Keine Risikobereitschaft, kein Bedürfnis oder kein Mut, etwas Neues zu sehen.
Auch vor der Trennung ist er nie mit uns weggefahren. Das waren immer nur meine Mutter, Silvia und ich. Im Sommer an die Ostsee, im Winter ins Erzgebirge. Aber wehe, einer von uns wollte mal nicht mit nach Jena zu seiner Schwester, dann war der Teufel los.
Ich erinnere mich nur an ein einziges Mal, dass er mit uns Urlaub gemacht hat. Im Winter, in dem Ferienhaus bei Schwarzenberg, zu einer Zeit, in der meine Eltern nur noch gestritten haben. Mein Vater, der groÃe Türenknaller, in keiner Disziplin war er leidenschaftlicher. Tür knallen, Fresse halten.
Doch die Tür im Ferienhaus hat er unterschätzt. Bei uns zu Hause wurden die Türen immer gebremst, man musste sie richtig andrücken, um sie zu schlieÃen, und sie dementsprechend rabiat zuwerfen, um den erwünschten Knalleffekt zu erreichen. Bei dem Streit im Urlaub dagegen wackelte das ganze Haus, als er die Wohnung verlieÃ. Silvia fing vor Schreck an zu heulen, meine Mutter auch. Ich versuchte sie zu trösten, aber sie sagten nichts. SchlieÃlich weinte ich auch ein bisschen, weil ich irgendwie dazugehören wollte.
Daran kann ich mich erinnern, und an die Schrägen im Kinderschlafzimmer, und an den Uhu, den mein Vater und ich bei einem Spaziergang im Wald beim Sandbaden beobachteten. Der Uhu hatte uns nicht kommen hören, und wir verharrten ein paar Minuten lang ganz still an einem Baum und sahen
ihm bei seiner lustigen Putzeinlage zu. Mein Vater hatte einen Finger an seine Lippen gelegt. Seine Augen leuchteten. Ich habe ihn nie wieder so glücklich gesehen.
Nach der Scheidung wollte er Silvia und mich mal zum Urlaub einladen, nach Südfrankreich, Spanien oder Italien. Er war ins Reisebüro gegangen und hatte den ganzen Küchentisch voller Prospekte, er war richtig enthusiastisch. Aber irgendwie wurde nichts draus. Wahrscheinlich war meine Mutter dagegen, und meiner Schwester muss sein plötzliches Reisefieber wohl auch etwas suspekt vorgekommen sein.
Ende der Neunziger war er mal für eine Woche alleine auf Ibiza. Oder Teneriffa, keine Ahnung.
Das warâs, mehr hat er nicht von der Welt gesehen. Und obwohl ich ja immer wusste, dass ich nicht so leben wollte wie er, ist mir erst nach seinem
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