Was kostet die Welt
Bierglas um.
Hubert trägt denselben roten Pullover wie gestern. Und dieselbe rote Nase. Seine Augen sind zu zwei Bud-Spencerartigen Sehschlitzen zusammengezogen, er grinst übers ganze Gesicht.
»Wie bitte?«
»Guden. Guten Abend, auf Hochdeutsch!«
»Ach so, ja, guten Abend auch«, stammle ich, und bevor mir noch so was rausrutscht wie »Na, so ein Zufall, gerade an dich gedacht!«, frage ich: »Wie gehtâs?«
»Na, ich sag mal so: Schlechten Menschen geht es immer gut«, lacht Hubert. »Und selbst?«
»Kann nicht klagen«, sage ich. Was ja eigentlich nichts heiÃt, mir aber trotzdem oder gerade deswegen irgendwie passend erscheint. »Ich bin zum Abendessen hier.«
»Und mein Sohnemann?«
»Ist zu Hause, mit Judith. Pärchenabend.«
»Ach ja, die Liebe«, seufzt Hubert. »Das muss schon was Schönes sein! Die beiden können ja die Finger nicht voneinander lassen. Da haben sich zwei gefunden!«
»Ja«, sage ich.
»Schönes Paar«, sagt Hubert.
»Ja«, sage ich.
»Stimmtâs, oder hab ich Recht?«, sagt Hubert.
»Ja, sicher«, sage ich. »Und du, Feierabend?«
»Ja, hab noch eben hinten ein Bierchen mit dem Jagdverein getrunken. Du kennst ja vielleicht den Witz: Gehen zwei Jäger an einer Kneipe vorbei.«
»Ja, und?«
»Ja, das war der Witz.«
Er lacht.
»Ach so, verstehe.«
Ich lache auch.
Hubert stützt sich auf dem Tisch ab, beugt sich vor und senkt die Stimme.
»Aber Spaà beiseite. Wir haben hier gerade ein Problem mit Wilderern. Die Wildschweine fressen uns die Trauben weg, das zahlt mir keine Versicherung. Die Biester müssen geschossen werden, klare Sache. Aber nicht von Wilderern.
Deswegen die Krisensitzung. Lässt sich ja auch gut mit einem Feierabendbierchen verbinden.«
»Ach so«, sage ich und denke, dass es einem Wildschwein ziemlich egal sein dürfte, von wem es abgeknallt wird. Und auÃerdem: Feierabendbierchen? Nach allem, was ich bisher gesehen und gehört habe, hätte ich eher gedacht, dass Bier für einen Winzer so was ist wie eine Daily Soap für einen seriösen Theaterschauspieler. Flo hat gestern erzählt, dass auf manchen Weinfesten nicht mal Bier verkauft wird.
Hubert kommt noch etwas näher. Seine Ohren sind wirklich riesig. Er flüstert jetzt fast.
»Unter uns, für mich ist das ja nichts, diese Vereinsmeierei und so. AuÃerdem fangen die gerade schon wieder an mit ihrem Parteiengedöns. Wenn der Hoffmann von der SPD da ist, dann weià man immer, bald geht der Wahlkampf wieder los. Lässt sich sonst nicht blicken, der alte Steifhals. Aber was willste machen. Mit den Wilderern, das geht so nicht weiter. Am Wochenende habenâse wieder einen angeschossenen Keiler gefunden und den Gnadenschuss geben müssen. Hat den halben Wald vollgeblutet, das arme Tier. Na ja, was erzähl ich das einem Vegetarier â¦Â«
»Ach, wieso, also«, sage ich. Manchmal kommt es mir vor, als hätte ich die Konversation mit Fremden komplett verlernt.
Etwas vibriert in meiner Hosentasche. Dann höre ich auch das Klingeln. Ich krame mein Handy hervor, werfe einen Blick aufs Display: VERENA ZUHAUSE. Ich drücke die Lautlos-Taste und lege das Handy zur Seite.
»âtschuldigung.«
»Willst du nicht rangehen?«, fragt Hubert.
»Ach, nicht so wichtig gerade«, sage ich.
Hubert starrt auf das Handy, das wie eine zuckende Ratte vor sich hin vibriert. Das Brummen wird durch den Holztisch verstärkt, bohrt sich in meinen Kopf und entfaltet dort ein Bild von Verena, wie sie in Unterhemd und Schlüpfer auf der Bettkante in ihrer Hannoveraner WG sitzt, das Telefon am Ohr, mit aufeinandergepressten Lippen, diesem typischen Blick, den sie hat, wenn sie sich konzentriert oder auf etwas freut. Es ist ein schöner Blick.
»Bist du sicher?«, fragt Hubert.
Nein, denke ich. Und sage: »Ja.«
Endlich hört das Brummen auf. Hubert klopft dreimal kräftig auf den Tisch.
»Ich werd dann mal nach Hause gehen, bevor die liebe Frau Gemahlin noch eine Vermisstenmeldung aufgibt. Wünsche guten Appetit und einen schönen Abend, Herr Meise!«
»Gleichfalls«, sage ich.
Und als er durch die schwere Tür verschwunden ist, denke ich etwas wirklich Eigenartiges: schade. Schade, dass er gegangen ist. Ich hätte gerne noch ein bisschen mit ihm abgehangen, mir von Wilderern erzählen
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