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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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trifft, springen panisch zwei Frösche zur Seite. »Trink niemals Wasser!«
    Es sind nur zwei weitere Tische besetzt. Gegenüber vom Tresen sitzen drei Männer und spielen Karten, einen Tisch weiter hat ein älteres Ehepaar gerade das Abendessen beendet und raucht nun fröhlich um die Wette. Sie sehen zufrieden aus. Irgendwie glaube ich ja, dass Raucher die besseren Menschen sind. Unter soziologischen Gesichtspunkten vielleicht eine etwas fragwürdige These, aber egal.
    Der Ventilator verteilt den Zigarettenqualm der beiden gleichmäßig unter der Holzdecke, wo er als mächtiger Schleier hängenbleibt. Mir gefällt das. An einem Ort zu essen, wo geraucht wird, hat mich noch nie gestört. Beim Trinken ist Rauch sogar essenziell, sonst kann man sich ja gleich in der antiseptischen Atmosphäre eines Krankenhauses oder Hallenbades besaufen. Das Radetzky ohne den Duft von Zigarettenqualm? Völlig unvorstellbar. In guten Momenten brauche ich anderthalb Minuten für eine Zigarette, ohne dass mir schwindelig wird. Dann inhaliere ich Nikotin mit jedem Atemzug. Sollte sich das Rauchverbot wirklich mal durchsetzen, muss ich mir auf jeden Fall einen anderen Job suchen. Oder besser gleich einen anderen Planeten.
    Â 
    Die Kellnerin kommt freundlich lächelnd auf mich zu. Ich schätze sie auf Anfang zwanzig. So stellt man sich in Fredericksburg, Texas, ein deutsches Mädchen vor: groß, kräftig, mit zwei blonden Zöpfen und einem tiefen Dekolleté, aus dem ein mächtiger Busen hervorlugt. Fehlt nur noch das Dirndl, um das Klischee zu komplettieren. Sie sieht aus,
als würde sie Dagmar heißen. Dagmar hat einen kleinen Kopf und eine irgendwie kegelförmige Figur. Der sogenannte Michelinmännchen-Torso. Was sie dadurch zu unterstreichen weiß, dass sie ihre Klamotten gerne ein paar Nummern zu klein kauft. Enge weiße Bluse, enger schwarzer Kittel und eine dunkle Jeans der Marke Arsch frisst Hose .
    Â»Was darf’s denn sein?«
    Â»Ein großes Bier, bitte.«
    Â»Bitburger?«
    Â»Egal. Hauptsache groß. Und habt ihr’ne Karte?«
    Â»Ja, da«, sagt sie und deutet auf einen Stapel Zeitungen neben mir. »Ich komm dann gleich nochmal wieder.«
    Ich nehme mir eine der Zeitungen. »Lindenblatt« steht in grünen Versalien auf dem Deckblatt. »Herzlich willkommen in unserem Hause!«
    Darunter unscharfe Fotos von Wurstplatten, Weinregalen und holzvertäfelten Räumen. Die Speisekarte ist als Poster in der Mitte abgedruckt. Der Rest der achtseitigen Zeitung enthält eine Zeittafel der Familie Schäfer, die dieses Restaurant nebst Gästezimmern seit 1909 betreibt, außerdem Anzeigen lokaler Unternehmen, ein Silbenrätsel und eine Witze-Ecke.
    Â»Gestern wollte ich ganz besonders vorsichtig aus der Kneipe nach Hause gehen, da tritt mir irgend so ein Idiot auf die Hand.«
    Â 
    Das Menü ist ziemlich fleischlastig, aber zum Glück ist gerade Spargelzeit. Auf einer Tafel an der Wand sind die Spargelgerichte aufgeführt. Ich entscheide mich für die Variante mit Sauce Hollandaise und Kartoffeln.
    Dagmar stellt mir ein großes Glas Bier auf den Tisch und kritzelt meine Bestellung auf einen schmalen Block.

    Bier!
    Wie herrlich!
    Der Wein muss mir schon aus sämtlichen Körperöffnungen kommen. Nicht nur, weil ich gestern einiges davon getrunken habe, sondern vielmehr, weil er hier so allgegenwärtig ist, dass man ja eigentlich gar nicht anders kann, als aus Protest nur noch Bier zu trinken.
    Noch bevor Dagmar den Tresen erreicht hat, habe ich das Glas in zwei großen Zügen geleert. Bis auf den letzten Schluck natürlich.
    Â»Und noch ein Bier, bitte!«, rufe ich ihr hinterher.
    Â»Yo!«, ruft Dagmar zurück.
    Während ich auf das Essen warte, blättere ich in der gestrigen Ausgabe der Rhein-Zeitung . Ein Artikel berichtet über eine Studie, nach der die Hälfte der Deutschen auch krank zur Arbeit geht. Aus Pflichtgefühl, weil sonst zu viel Arbeit liegenbleibt. Und aus Angst, den Job zu verlieren. Die Vorstellung, jeden Tag in ein beschissenes Großraumbüro oder was weiß ich wohin zu müssen, ist ja schon schlimm. Die Vorstellung, sich auch noch krank dorthin zu schleppen, übersteigt mein Vorstellungsvermögen. Und haben nicht Hubert und Flo gestern noch von den faulen deutschen Erntehelfern geredet?
    Â 
    Â»Guden, Herr Meise!«
    Ich schmeiße vor Schreck fast mein

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