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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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riecht.
    Â»Ist das Düngemittel oder so was?«
    Â»Ja. Bisschen schwefelig, oder? Der Spritzhubschrauber war gestern hier. Direkt danach riecht das ziemlich stark. Jetzt eigentlich kaum noch, der Regen hat ja alles weggewaschen.«
    Â»Spritzhubschrauber?«, frage ich, um noch etwas zu sagen.
    Â»Ja«, sagt Flo. »Von Mai bis August fliegt der alle zehn Tage. Ist effektiver, und insgesamt sogar günstiger, wenn man sich mit anderen Winzern zusammentut.«
    Â»Klingt logisch«, sage ich.
    Â»Mitte der Neunziger ist hier in der Nähe mal einer abgestürzt. Hat nicht aufgepasst und sich in der Hochspannungsleitung verfangen. Ist aber niemand gestorben. Als der Pilot aus dem Krankenhaus kam, standen die Nachbarn bei ihm vor der Tür und haben gesungen. Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund … Das konnte der sich noch jahrelang auf jedem Weinfest anhören.«
    Flo lacht. Ich lache auch. Meine Lache klingt gekünstelt. Ätzend eigentlich. Aber egal, geht jetzt nicht anders.
    74 Prozent Steigung auf dem Hinweg bedeuten auch 74 Prozent Gefälle auf dem Rückweg. Wegen der Profillosigkeit meiner schönen alten Sneakers bewältige ich den Abstieg größtenteils auf dem Hintern.
    Der Golf steht auf dem Seitenstreifen dicht an der Landstraße. Judith lehnt an der Motorhaube. Weil ich immer noch das Gefühl habe, irgendwas wiedergutmachen zu müssen, frage ich die beiden, ob ich sie später zum Essen einladen kann.
    Flo dreht sich zu Judith um und macht irgendwelche maunzigen Geräusche. Sie nuscheln etwas, das ich nicht verstehe, weil gerade ein Traktor vorbeifährt.

    Â»Was?«
    Â»Na ja«, sagt Flo, »das ist nett von dir, aber ich bin morgen Abend nicht da. Ich mache einen Hausbesuch bei einem Stammkunden, habe ich dir ja am Telefon erzählt.«
    Â»Ja?«
    Â»Ja.« Er spielt mit der Zunge in seinem Mundwinkel herum, als würde er dort etwas suchen. »Ja, und deshalb würden Judith und ich heute gerne noch einen Abend zu zweit verbringen. Pärchenabend, weißt du?«
    Obwohl mir das ganz recht ist, weil ich sowieso lieber alleine esse, muss ich mich jetzt wirklich beherrschen, nicht laut und hässlich loszulachen.
    Pärchenabend also.
    Ich friere meine Gesichtszüge ein und verbiete mir mit aller Kraft meinen Killerblick. Es fällt mir nicht leicht. Durch meine Zähne kommen irgendwelche Laute, als wäre ich gerade beim Vorsprechen für eine Rolle als Clint-Eastwood-Double.
    Die Turteltäubchen hören mich gar nicht. Sie stecken die Köpfe zusammen und flüstern sich in Babysprache irgendwas zu, nehmen sich in den Arm und schaukeln so komisch hin und her, als wäre ich gar nicht anwesend. Unendlich langsam verstreichen die Sekunden. Sie stehen da wie Verwundete, die sich nicht alleine auf den Beinen halten können. Obszön, vulgär. Ich weiß gar nicht, wo ich hingucken soll. Wenn die nicht aufpassen, haben sie sich gleich völlig zerstreichelt, kaputtgekuschelt, zu Tode gesäuselt.
    In sämtlichen Zellen meines Körpers tobt jetzt nur noch ein ganz schlimmer Bierdurst.

10
    Das Innere der Speisegaststätte Zur Linde besteht zu ungefähr neunzig Prozent aus Holz. Tische, Wände, Decke, Tresen - alles aus Holz. Sogar der Kippenautomat ist mit hellem Holz vertäfelt, Kiefer oder Fichte oder was das ist.
    Ãœber der Schiebetür zum Hinterzimmer hängt ein großes Hirschgeweih. Es sieht hier aus, als hätte man das Esszimmer der Arends zur Kneipe gemacht. Mir soll’s recht sein. Spätestens nach der Schwammtechnikhölle von gestern weiß ich das Traditionell-Rustikale durchaus zu schätzen.
    Hinter dem Tresen stehen einige Pokale im Regal. Außerdem ein Aschenbecher in Toilettenform sowie zwei große Flaschen mit einer braunen Flüssigkeit. Die Flaschen haben die Form von menschlichen Körpern, eine weiblich, die andere männlich.
    Aus dem Hinterzimmer dröhnt das dumpfe Stimmengewirr einer größeren Versammlung. Der junge Spund mit der Baseballkappe gehört offenbar zur Kellnerin oder ist zumindet scharf auf sie. Er sitzt am Ende des Tresens, trinkt eine Cola und beobachtet jeden ihrer Schritte.
    Ich setze mich an einen Tisch in der hintersten Ecke des Thekenraums. Raucherbereich.
    Ãœber meinem Platz hängt ein Teller an der Wand. Er zeigt einen Jungen in kurzen Lederhosen, der in hohem Bogen
in einen See pinkelt. Dort, wo sein Strahl das Wasser

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