Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
Vom Netzwerk:
Gutachten, sondern ein Schlechtachten« erstellt.
    Er hat sogar versucht, nachträglich eigene Handwerkerrechnungen einzureichen. Fürs Fliesenlegen und den Kellerausbau. Um zu zeigen, dass er viel mehr ins Haus gesteckt hatte als meine Mutter. Das ging natürlich total nach hinten los. Man kann sich selbst keine Rechnungen schreiben, schon gar nicht Jahre später. Die Juristen haben nur die Köpfe geschüttelt.
    Drei Anwälte hat er verschlissen. Der erste hat ihm vehement von seinen wirren, überzogenen Anträgen abgeraten, mit denen er das Gericht gegen sich aufbrachte. Zack, Mandat entzogen. Beim zweiten war es ähnlich. Mit seiner lächerlichen Paranoia hat er sich immer weiter ins Abseits manövriert.
    Alle hatten sie sich gegen ihn verschworen. Seine Frau, die Richter, die Anwälte, die Gutachter. Er fühlte sich immer gegängelt, schikaniert, betrogen, gedemütigt. Und er war immer zu verbohrt, um Fehler einzugestehen. Zu stolz, sich geschlagen zu geben.
    Stolz. Auch nur so ein alberner Euphemismus für gekränkte Eitelkeit. Es hieß ja bei ihm auch immer Gerechtigkeit statt
Rache. Man war nicht stur, sondern prinzipientreu . Kämpferisch , nicht cholerisch. Und auf keinen Fall jähzornig, sondern immer sensibel .
    Ich war fünfzehn, als ich vor Gericht aussagen musste. Die Richterin und der Verfahrenspfleger behandelten mich wie ein armes, misshandeltes Kleinkind. In ihren Augen stand pures Mitleid.
    Irgendwann zu der Zeit hat mein Vater mal zu mir gesagt, ich solle es im Leben einmal besser haben. Wenn man diese abgeschmackte Bemerkung ernst nahm, konnte man sie nur als Aufforderung verstehen, alles anders zu machen als er.
    Meine Mutter hatte die bessere Erkenntnis: Ich will es besser haben in meinem Leben. Eines Tages hat sie einfach aufgehört, sich kleinzumachen und in sich selbst zu vergraben, nur um des lieben Hausfriedens willen, der gar kein Frieden war, sondern nur ein nett dekoriertes Schaufenster. Sie hat sich freigestrampelt und sich nach langen Jahren des stillen Leidens für ein Leben in Freiheit entschieden. Die beste und wichtigste Entscheidung ihres Lebens.
    Es gibt Menschen, die es ihren Eltern übelnehmen, dass sie sich getrennt haben. Bei mir ist es umgekehrt. Ich würde es meiner Mutter übelnehmen, wenn sie sich nicht von meinem Vater getrennt hätte.
    Familie ist kein Selbstzweck.
    Familie muss zerstört werden, bevor sie ihre Mitglieder zerstört.
    Â 
    Als ich achtzehn wurde, wollte er keinen Unterhalt mehr für mich zahlen. Ich sprach ihn darauf an, es gab einen Streit, er warf mich aus dem Haus. Es war das Haus, in dem ich aufgewachsen war.

    Er wäre gesetzlich dazu verpflichtet gewesen, Unterhalt zu zahlen. Aber dazu hätte ich ihn verklagen müssen. Damit wäre ich eine weitere Kriegspartei in diesem sowieso schon komplizierten Spiel geworden.
    Ich habe es nicht getan. Sollte er sein beschissenes Geld doch behalten.
    Ein paar Monate später verscherzte er es sich auch mit Silvia, als er sie auf der Rückfahrt aus Jena kurz vor Berlin an einer Raststätte stehenließ.
    Sie hatte ihn auf der Fahrt auf die Unterhaltssache angesprochen und ihm außerdem klarzumachen versucht, dass er in ihrer Gegenwart bitte nicht mehr vor anderen, in diesem Fall vor Tante Helena und Onkel Uli, schlecht über unsere Mutter reden sollte. Mein Vater quittierte das mit ein paar zynischen Kommentaren, und als Silvia sich damit nicht abspeisen lassen wollte, fuhr er am Rastplatz Michendorf rechts ran.
    Â»Würden Sie dann hier bitte aussteigen, Fräulein Naseweis!«
    Verdutzt stieg Silvia aus, mein Vater fuhr davon und kam auch nicht mehr zurück. Silvia musste schließlich ein Taxi nach Hause nehmen. Als sie dort ankam, wartete schon ein Fax auf sie - eine Rechnung über 34,50 Euro für »Fahrtkosten Berlin- Jena und Jena-Michendorf«. Mein Vater war sich nicht mal zu blöd, handschriftlich hinzuzufügen, dass er seine »Chauffeurdienste« dabei nicht berechnet habe. Silvia platzte der Kragen, sie rief ihn an und nahm ihn sich zur Brust, bis er sich unter Tränen bei ihr entschuldigte.
    Bei mir hat er sich nicht entschuldigt. Ich gab ihm auch keine Gelegenheit dazu. Zwei Jahre lang haben wir uns nicht gesehen, bis zum achtzigsten Geburtstag meines Opas. Mein Vater hatte plötzlich weißes Haar. Es ging ihm schon ziemlich schlecht, das sah man sofort, wie er da am Tisch saß, so steif

Weitere Kostenlose Bücher