Was liest der Hund am Laternenpfahl
beispielsweise noch vor wenigen Jahren von Verfechtern des sogenannten Stachel- oder Korallenhalsbandes behauptet, dieses ahme die Zähne der Wolfsmutter nach, die ihre Kleinen bei Verfehlungen mit denselben ordentlich im Nacken packe und züchtige. Auch Prügeleien unter fremden Rüden wurden gerne mit dem Verweis auf Wolfsrudel und die dort notwendige Etablierung einer Rangordnung erklärt. So zweifelhaft diese und ähnliche vermeintliche Wahrheiten mittlerweile geworden sind, so machen sie doch eines klar: Der Mensch glaubt fest an den Wolf in seinem Hund. Doch wie viel Wolf steckt denn nun in unseren tierischen Hausgenossen, die so friedlich undvoller Unschuld in ihren Körbchen schlummern? Dies lässt sich am ehesten durch einen Blick auf die Unterschiede genauer klären. Zunächst einmal gilt, dass die Zugewandtheit dem Menschen gegenüber dem Hund in die Wiege gelegt ist, was sicherlich eines der gravierendsten Unterscheidungsmerkmale ausmacht. Was das Ausdrucksverhalten betrifft, muss man unseren Hunden im Vergleich mit dem Wolf eine deutlich vereinfachte, vergröberte Körper- sowie Lautsprache und Mimik attestieren. So haben Forscher bei Wölfen im Bereich des Kopfes 11 Ausdrucksregionen mit jeweils 2–13 verschiedenen Signalmöglichkeiten sowie bei ausgewachsenen Exemplaren um die 60 verschiedene Mienen gezählt! Dahingegen kommt beispielsweise der Zwergpudel im Kopfbereich auf gerade mal schlappe 14 mögliche Gesamtausdrücke. Gewisse wölfische Verhaltensweisen fehlen dem Hund völlig, andere – wie das Bellen – sind in intensivierter Form ausgeprägt. Rangpositionen werden bei Hun-den weniger stark umkämpft als bei ihren wilden Artgenossen, was sie für ein Zusammenleben mit dem Menschen natürlich umso geeigneter macht. Sicherlich wird es jedem Hundeliebhaber leichtfallen, in seinem Liebling wölfisches Erbe zu entdecken. Insgesamt haben sich unsere heutigen Hunde jedoch sehr weit vom Wolf entfernt, und diese Veränderungen sind genetisch fixiert. Es empfiehlt sich daher, weniger mit dem Finger auf Isegrim zu zeigen und sich dafür häufiger an der eigenen Nase, der spekulativen, zu ziehen.
Was geschieht, wenn sich Wolf und Hund
begegnen
?
Ein solch unverabredetes Rendevouz kann ganz gegensätzliche, aber umso existenziellere Folgen haben. Oder einmal ganz pathetisch gesprochen: Es kann um Leben oder Tod gehen. Es gibt glaubhafte und ernst zu nehmende Quellen, die davon berichten, dass Wölfe Hunde angreifen, töten und unter Umständen auch fressen. So weiß manvon Wölfen, die fern von den Zentren der Vorstädte Moskaus die dort streunenden Hund getötet und so gut wie ausgerottet haben. Die Spezialisierung des Wolfes auf den herrenlosen Hund als Beutetier scheint dort möglich zu sein, wo es viele dieser armen Streuner gibt und der Mensch gleichzeitig die natürlichen Beutetiere des Hundestammvaters stark reduziert hat. Auf gewisse Gebiete Russlands trifft in diesem Fall beides zu. Am anderen Ende der Skala der möglichen Reaktionen bei einer Begegnung steht die Verpaarung zwischen Hund und Wolf. Wie im oben geschilderten Fall ist jedoch auch hier ein gestörtes Ökosystem die Voraussetzung. Freiwillige Verpaarungen geschehen am häufigsten dann, wenn als Ergebnis menschlicher Verfolgung die Wolfspopulation einen drastischen Einschnitt erfährt. In einem solchen Fall ist dem Wolf die Möglichkeit genommen, einen Partner zu finden. Zumeist sind es dann Wolfsweibchen, die sich mit Hunden paaren, sofern ihnen diese in der Zeit der Hitze über den Weg laufen. Interessanterweise finden diese Begegnungen häufig auf Müllkippen statt, die in solchen Fällen für beide Hauptnahrungsquelle sind. Ein Beispiel dafür ist Italien, wo Wölfe immer wieder Stammgäste auf den Müllkipppen so mancher Dörfer sind.Wie zu sehen ist, hängt die Frage nach dem Ausgang eines Zusammentreffens zwischen Hund und Wolf, wenn auch indirekt, eng mit dem Menschen zusammen.
Sind Wölfe
massenmörder
?
Immer wieder stößt man – insbesondere in historischen Quellen – auf Nachrichten von angeblich blutrünstigen Wölfen, die bei Nacht und Nebel in Hühner- oder Schafställe einbrachen und weder rasteten noch ruhten, bis auch dem letzten Tier der Garaus gemacht worden war. Vertilgt wurden jedoch nur wenige der bedauernswerten Opfer. Dieses Phänomen des Massentötens ist den Verhaltensforschern nicht nur vom Wolf, sondern auch von anderen Beutegreifern wie beispielsweise dem Bären bekannt. Mit einer sadistischen
Weitere Kostenlose Bücher