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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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das.
    »Wie kam meine Frau zu solch einem Tumor? Und warum hattest du plötzlich dieses Jahr keinen Heuschnupfen mehr? Zwei Fragen, die nicht das geringste miteinander zu tun zu haben schienen...«, und hier trat fast so etwas wie ein Leuchten in Joes Augen, kein freudiges, eins, das eher Professor Dewars Lächeln ähnelte und aus dem nur die tiefe Genugtuung des Wissenschaftlers über die Lösung eines Rätsels sprach, »...bis du den Hörer abnahmst.«
    Vic hielt Joes Blick eine Weile stand.
    »Joe. Laß verdammt noch mal das Gefasel um den heißen Brei.
    Sag endlich, worauf du hinaus willst!« Vic betonte jede einzelne Silbe von jedem Wort.
    Joe kratzte sich an der Nase.
    »Du hast noch nie einen Aids-Test machen lassen, oder? Außer dem einen, den ich gerade gemacht habe.«
    Vics Inneres bäumte sich auf. Es stimmte. Obwohl er inzwischen älter war und weniger als früher dazu neigte, aus reiner Schockierlust gegen etablierte Meinungen anzugehen, glaubte er im Grunde immer noch an seine Rede über Aids und die nicht vorhandene Ansteckungsgefahr unter Heterosexuellen, die er vor fast einer Dekade im Spice of Sydenham gehalten hatte. Er sah Joe fragend an, merkte aber, daß dieser darauf wartete, daß er die Worte selbst aussprach. Es waren seine Zeilen in Joes persönlichem Drama.
    »Du willst also sagen, daß Emmas Hirntumor durch Aids ausgelöst wurde? Und daß ich sie angesteckt habe?«
    Joe nickte, wobei sein starres Gesicht eine Sekunde aus Vics Blickfeld verschwand und dann wieder hineinkam.
    »Was bedeutet — sprechen wir es klar aus —, daß ich Aids habe?«
    »Du bist HlV-positiv«, sagte Joe mit fester Stimme. »Und du stehst am Rande von Aids, so nah daran, daß dein Immunsystem — wie ich schon sagte — nicht mehr voll funktioniert.« Er schwieg eine Sekunde. »Allerdings ist es möglich, daß deine Allergie zurückkommt, wenn dein Aids voll ausgebrochen ist. Ich habe über die Beziehung zwischen Aids und allergischen Reaktionen geforscht — ein bisher leider wenig untersuchtes Feld — , und wie es scheint, neigen Aids-Infizierte mit früheren Allergien dazu, sie in den späten Stadien der Krankheit wiederzubekommen, und zwar viel, viel schlimmer als vorher. Niemand weiß warum.«
    In dem Schweigen nach dieser Rede hörte Vic das undefinierbare Summen, das Gebäude diese Art immer machen. Er sah zum Fenster hinaus, obwohl da nicht viel zu sehen war; in solchen Gegenden ist es nachts sehr dunkel, weil sie reine Arbeitsstätten sind, wo die Leute nur tagsüber hinkommen. Ein Kampf tobte in ihm, sein Überlebensinstinkt schlug mit Händen und Füßen gegen die schwere Wolke der Depression, die sich wieder auf ihn senkte, dreifach schlimm, und ihm zuflüsterte, einfach alle viere von sich zu strecken und es hinzunehmen. Es war egal. Alles war egal.
    »Ich glaube dir nicht«, sagte er schließlich.
    »Guck selbst.«
    Joe hatte die Hand zur Grey Lady hin gestreckt.
    »Unter dem Mikroskop dort liegt die Blutprobe, die ich dir entnommen habe, als du bewußtlos warst.«
    Vic starrte ihn an; der Wunsch, sich zu entschuldigen, war ihm gründlich vergangen.
    »Wirklich«, sagte Joe. »Es ist mein eigenes Mikroskop. Wenn du hineinsiehst, kannst du den Virus ganz deutlich erkennen.«
    Er sagte es zuvorkommend, gefällig, fast, als wolle er Vic damit aufrichten. Vic ging hinüber, merkte, wie steif und roboterhaft seine Schritte waren, spürte das Gewicht seiner Sohlen auf dem Boden und seinen Atem in den Nasenflügeln; jetzt, da er um seine Krankheit wußte, schienen all diese Dinge nicht mehr selbstverständlich zu sein. Ohne Joe anzusehen, beugte er sich über das Mikroskop. Als die anfänglichen Doppelkreise zu einem verschmolzen, konnte er durch den Farbfilter eine Serie grünlich-blauer Plasmen erkennen, die um drei größere Zellstrukturen herumschwammen; diese größeren Strukturen enthielten Dutzende winziger, unförmiger roter Klumpen. Innerhalb der meisten, aber nicht aller, war ein einzelner schwarzer Punkt zu sehen, dessen Größe von Klümpchen zu Klümpchen variierte. Das Ganze sah aus, als hätte man rote, in Algen schwimmende Augen in drei durchsichtige Beutel gefüllt.
    »Diese schwarzen Partikel, die du im Kern deiner Blutzellen siehst, heißen RNS: das HIV-Gen.« Joe klang wie ein engagierter, geduldiger Lehrer. Vic hob den Kopf vom Mikroskop.
    »Und das ist wirklich mein Blut?« sagte er und zeigte auf die Platte. Joe nickte. Vic ging langsam zu seinem Stuhl zurück. Ich sitze hier wohl in

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