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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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erfahren hatte, sprechen sie oft davon, daß ihnen zu viele Dinge auf einmal im Kopf herumgehen, oder auch im Gegenteil, daß sie nicht wissen, was sie denken sollen. Nicht so bei Emma. Sie wußte ziemlich genau, was sie denken sollte. Zuallererst an Jackson, die erste Pflicht einer Mutter: Jeder Krebs-Kolumnist, den sie je gelesen hatte, schrieb davon, wie es das Allerschmerzlichste für krebskranke Mütter sei, daß sie nicht mehr an der Zukunft ihrer Kinder teilhaben können, das sei der Raub des kostbarsten Juwels aus der Schatztruhe des Lebens, das ihnen mit jedem Tag, der vergeht, durch die Finger rinnt. Und an Joe sollte sie denken, ihren Mann; an die zwar manchmal erwogene, aber jetzt definitive Aussicht, nicht mit ihm alt zu werden; oder an seine voraussehbare aufopfernde Hingabe angesichts ihrer Krankheit, der ideale Partner in Krisenzeiten; möglicherweise sogar daran, wie sich ihre Ehe wieder stabilisieren könnte, so wie es oft geschieht, wenn ein Partner erkrankt. An ihre Mum, wie sie um Himmels willen ohne sie überleben sollte; vielleicht war es ja ein Segen, daß es in ihrer Wirklichkeitsferne bestimmt gar nicht zu ihr drang, daß ihr Kind nun wahrscheinlich vor ihr sterben würde. Und an sich selbst, an all das Leben, das ihr entgehen würde, die Musik, die ihr keine Schauer mehr über die Haut jagen würde, die Witze, die sie nicht zum Lachen brächten, die heißen Tage, an denen kein Wasser ihre Haut kühlte.
    An all das dachte sie, aber wie durch ein Prisma bewußter Bemühung, so als hätte sie sich alles in den Kopf geholt, nicht als sei es ihr spontan und instinktiv eingefallen — eher wie mit dem Scanner, wie mit einer Suchmaschine aufgespürt, die sie mit dem Schlüsselwort wichtig durch ihr Leben laufen ließ. Es war ein irritierendes Gefühl, so neben sich zu stehen, und sie fragte sich, ob dies vielleicht eine weitere Nebenerscheinung ihrer Krankheit war — daß sie jede Stimmung, jedes Urteil, jede Angst und praktisch jedes Körpergefühl hinterfragte, den Verdacht hatte, es sei verfälscht, durch ihren Tumor grau und schwarz verfärbt. Von allem, was sie im Kopf hatte, war vielleicht nichts natürlich dorthin gekommen. Möglicherweise war alles das Ergebnis von dem Druck des Tumors auf ihre Hirnmasse.
    Der einzige Mensch, bei dem sie sicher war, daß sie wirklich an ihn denken wollte, war Vic. Der Gedanke an ihn war vielleicht auch deshalb leichter, weil sie ihn gleich sehen würde, und die praktische Seite in ihr sagte, daß es das Beste sei, an das zu denken, was unmittelbar vor ihr lag. Die langen Wartezeiten füllte sie damit aus, daß sie sich die Worte zurechtlegte, die sie zu ihm sagen wollte, wenn sie dort war, so als sei sie unterwegs zu einem Interview oder als hätte sie ihr erstes Date. Wenn sie die Woge sprachloser Panik in Worte zwang, bekam sie sie vielleicht in den Griff. »Vic... ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll... aber die Tests waren positiv«, kam ihr zuerst in den Sinn, aber das drückte überhaupt nicht ihre Gefühle aus, klang viel zu unterkühlt. Als nächstes erwog sie die schicksalshafte, romantische Variante »Liebster, wir müssen tapfer sein, denn uns ist nicht mehr viel gemeinsame Zeit vergönnt«, aber schon bei dem Gedanken daran wurde ihr elend: Obwohl der Tod in romantischen Geschichten oft vorkommt, steht einem, wenn er im wirklichen Leben auftaucht, nicht der Sinn nach Tapferkeit. Vielleicht sollte sie einfach Professor Dewars Methode kopieren, die darin bestanden hatte, »Ich fürchte, ich habe nicht die besten Nachrichten« zu sagen, einige Sätze anzuschließen, in denen das Wort bösartig vorkommt, und dann ausführlich über die Wirksamkeit der heutigen Behandlungsmethoden zu sprechen, aber andererseits hatte sie mit Professor Dewar ja kein Liebesverhältnis. Das einzige, was wirklich echt für sie klang und zu dem paßte, was in ihrem Kopf vorging, war, in einem fort »Ich habe einen Hirntumor, ich habe einen Hirntumor« zu sagen, immer und immer wieder; aber das wollte sie nicht, es war dem, was sie in ihrem Kopf hatte, zu ähnlich, und sie wollte nicht, daß Vic eine so genaue Vorstellung davon bekam, nicht jetzt, wo dort lauter dunkle, häßliche Schatten waren.
    Sie hatte sie selbst gesehen, diese Schatten, auf den vor der weißen Leuchtwand hängenden Röntgenbildern, die ihr Professor Dewar bei ihrem letzten Termin, im Royal Brompton, gezeigt hatte — und ihr versichert hatte, daß die dunkle Stelle vorne in ihrem Kopf mit an

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