Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Titel: Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbæk
Vom Netzwerk:
halben Meter vor Sabine steht und sie blöde angrinst.
    Schimanskis Kopf dreht sich zu uns.
    »Was spielen wir?«
    »Na, schau dich doch mal an«, rufe ich.
    Darüber denkt er zwei Sekunden lang nach, dann schlägt er die ersten Takte von Happy Birthday an, bevor er in einen Softcore-Reggae umsteigt. Ich höre mir den Sound kurz an und setze dann mit ein. Schon beim ersten Ton fliegt mir das Plectron weg. Miststück!
    Ich spiele mit den Fingern weiter und versuche, die Saiten nicht rauszureißen. Du bist in einem Wald ... du entspannst dich ... du bist glücklich ... du kannst Bass spielen ... Miststück!
    Max krümmt sich Grimassen ziehend hinter seinem Set zusammen. Meine Meditationsübung funktioniert nicht. Meine Beziehungen funktionieren nicht. Bassspielen funktioniert nicht.
    Als ich den Bass loslasse und zum Mikrofon will, um das zu tun, was ich kann, versperrt Schimanski mir den Weg.
    »Konzentrier dich verdammt noch mal aufs Spielen!«, knurrt er.
    Nach diesen kollegialen Worten dreht er sich um und strahlt Sabine an. Dann geht er ans Mikro. Ich hab ihn noch nie singen hören, also schnappe ich mir den Bass und lausche neugierig den Dingen. Und dann beginnt er zu singen. Der Text ist so scheußlich wie sein Gesichtsausdruck. Es hat ihn böse erwischt.
    Irgendwann hat er genug herumgebalzt, zeigt Jam-Teil an und jault auch schon los. Die schnellsten Läufe, die brutalsten Riffs, die fiesesten Töne – er zeigt seiner Angebeteten, was er draufhat. Ich versuche, mich nicht abschütteln zu lassen, und hacke mit den Fingernägeln auf der obersten Saite herum. Von der anderen Seite der Wohnung strömen Menschenmassen in die Küche, um zu sehen, ob das das Ende ist, wenn ja, dann wollen sie es auf keinen Fall verpassen! Dabei sein ist alles.
    Schimanski gibt uns ein Zeichen, dass er auf der nächsten Eins wieder reingeht, und wir müssen eine weitere Schmalztextattacke über uns ergehen lassen, bis er endlich wieder an einer textlosen Stelle ankommt und Gas gibt. Er daddelt los, erreicht sein Nirwana, und ohne uns anzusehen, wechseln wir die Tonart. Hmm ... Ist wie Sex mit einer Frau, die man seit Jahren kennt, zusammen kommen – zusammenkommen.
    Wir hacken ein wenig auf dem Thema herum, aber als ich anfange zu improvisieren, wirft Max einen Stick nach mir. Alles klar.
    Zum Abschluss springen wir in die Luft und krachen beim letzten Ton synchron auf den Boden. Gläser klirren, und die Küche bebt unter dem Aufschrei der Leute. Im selben Moment drängeln sich ein paar Uniformen zur Tür herein. Sie sind äußerst mies gelaunt und behaupten, schon das dritte Mal hier zu sein. Diesmal wollen sie dafür sorgen, dass es kein viertes Mal geben kann. Gesagt, getan. Sie beginnen, die Gesangsanlage abzutransportieren.
    An den alten Sperrholzboxen haben sie schwer zu schleppen, und es würde mich ebenso schwer wundern, wenn wir am Montag nicht feststellen werden, dass beim Transport irgendetwas Spitzes in die Bassspeaker gedrungen ist. Ja, ja, Livespielen zahlt sich halt nicht mehr aus.
    Als die Bullen sich verabschieden wollen, kommt Brunner aus dem Nichts geschossen und wirft sich dazwischen.
    » d-da s-sind sie !«, schreit er und stimmt in das alte Volkslied ein. » h-h-haut die b-bullen p-platt wie s-s-stullen !«
    »Anwalt?«, frage ich ihn, bevor sie ihn rausführen.
    »Q-Quatsch!«, lallt er.
    Ich umarme ihn, lasse dabei das Dope unauffällig aus seiner Brusttasche verschwinden und halte ihn so lange fest, bis Max einen Fotografen dazu motiviert hat – nur für den Fall der Fälle –, ein Foto von Brunner vorher zu schießen.
    Auch ihn können wir erst am Montag wieder abholen. Schimanski versucht noch, einen Deal anzuleiern, dass wir Mister Hyde, der, mit Obst, Käse und ausgedrückten Kippen geschmückt, in einer Ecke sitzt und vor sich hinmurmelt, gegen Brunner eintauschen.
    »Einen Besoffenen gegen einen waschechten Propheten. Überlegen Sie mal, Herr Wachtmeister, wie das sich in Ihrem Bericht auswirken würde ...«
    Aber die Grünweißen sind heute nicht für Späßchen zu haben. Trotzdem versucht er es noch mal und verkauft ihnen Mister Hyde als untergetauchten nsdap ler, aber auch daran haben sie kein Interesse. Ja, ja, die brutale, unrechtmäßige und verabscheuungswürdige Verfolgung der Nazis durch die Justiz ist ein Kapitel für sich.
    Fünf Minuten später sind wir um eine Gesangsanlage und einen Bassmann ärmer, gleichzeitig um ein paar Anzeigen und Erfahrungen reicher. In meiner Hand halte ich

Weitere Kostenlose Bücher