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Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Titel: Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbæk
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schön, meins tut weh. Der Schmerz sitzt im Kopf, in der Brust, hinter den Augen und in den Eiern. Überall pocht es dumpf, und in meinem Unterbewusstsein jagen Bilder von Tintenfischen, Sadobullen und Gewittern hysterisch durcheinander. An einem solchen Morgen muss ich natürlich den sonst so coolen Schimanski verliebt und voll verblödet antreffen. Ja, er ist stoned vor Glück, träumt alle Träume und spielt solche Harmonien. Aber er ist nicht mehr zwanzig, er weiß um die Risiken, kennt die Nebenwirkungen – deswegen sitzt er hier und spielt den Blues.
    »Kommst wie gerufen«, sagt er und nickt zu einem Stück Papier, das vor ihm liegt. »Ich schreibe gerade ein Liebeslied.«
    Ich werfe einen Blick darauf. Oben links steht Liebeslied. Ansonsten ist das Blatt leer.
    »Ist ja fast fertig.«
    Er grinst nur und spielt ungerührt weiter.
    »Ich schreibe gerade keine Liebeslieder«, sage ich.
    Juckt ihn auch nicht. Er grinst und variiert die Akkorde. Sie breiten sich wie eine Frühlingswiese vor mir aus. Ein saftiges, vor Kraft strotzendes Stückchen Erde, dem jedes Gewitter nur noch mehr Leben einhauchen wird. Ich starre auf den Zettel. Liebeslied. Ich lach mich tot.
    Schließlich schnappe ich mir den Stift und ändere erst mal die letzte Silbe in Leid um. Schon besser.
    Schimanski wirft ein Blick auf den Zettel und unterbricht kurz sein Spiel, um mir den Stift wegzunehmen und das Leid durchzustreichen, dann gibt er mir den Stift zurück und spielt weiter.
    »He, ich bin der Texter.«
    »Liebeslied.«
    »Ach, mach’s dir doch selber ...«
    Aber gerade das muss er wohl auch nicht mehr, und statt zu antworten, lässt er das Brett aufjaulen. Der Sound jagt mir eine Gänsehaut über die Arme. Lange, vor Sehnsucht schreiende Töne – es klingt wie ein geflicktes Herz.
    Als er wieder runterkommt, sitzen wir erst mal da und schweigen. Dann lächele ich ihn an.
    »Es hat dich voll erwischt, was?«
    Er nickt und strahlt, dass einem schlecht werden kann.
    »Willst du reden?«, fragt er.
    Ich starre ihn an.
    »Worüber?«
    Er zieht die Schultern hoch.
    »Schon gut, aber schraub deine Laune mal wieder hoch. Fängst an zu nerven.«
    »He, du bist okay, ich bin okay.«
    Er schüttelt grinsend den Kopf.
    »Nee, ich bin nicht okay, du bist nicht okay, aber das ist ganz okay so. Und jetzt – Liebeslied.«
    Wir sitzen noch ein paar Stunden am Küchentisch und feilen an dem Text herum, aber gegen Mittag ziehe ich mir dann doch die Kampfstiefel an und mache mich auf den Weg zum Schlachtfeld. Ich öffne die Tür zum großen Zimmer und staune, denn wo vor Stunden noch tiefstes Dresden war, ist jetzt friedlichstes Freiburg angesagt. Hier müssen zwanzig Trümmerfrauen geackert haben. Die Glasreste sind aus dem Fensterrahmen entfernt, und die Stiefel hätte ich mir auch sparen können, denn der Teppich liegt zusammengerollt in einer Ecke. Darunter ist der Holzboden geschrubbt.
    Die Tür zu Vivis Zimmer steht offen, und das Erste, was ich sehe, ist meine Mitbewohnerin. Sie lächelt im Schlaf. Neben ihr liegt Marco und klammert sich an sie. Er klammert, sie lächelt. Manno.
    Als ich wieder in die Küche komme, will Schimanski sich gerade auf die Socken machen.
    »Ich gehe mal eben zu Sabine rüber. Kann ich das Brett so lange hier lassen?«
    Ich nicke und versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Seitdem ich ihn kenne, hat er sich noch nie weiter als ein paar Meter von seinem Brett entfernt.
    Als er die Treppen hinunterschwebt, sieht er irgendwie nackt aus, und das bin ich fünf Sekunden später auch, als ich ins Bett gleite und mich an Brittas warmen Hintern ankuschele. Sie drückt sich weich an mich, und mein Schwanz macht, was er in dem Fall immer macht.
    »Bist du wach?«, flüstere ich.
    Sie sagt nichts, presst sich aber noch fester an mich, als ich ihre Brust streichele.
    »Schläfst du?«
    Sie seufzt, bewegt sich aber nicht. Ich stütze mich auf einen Ellbogen und werfe einen Blick auf ihr Gesicht. Ihr Mund ist leicht geöffnet, und sie lächelt selig. Müssen ja nette Träume sein. Ich dämmere immer wieder halb hinüber. Zwischendurch schrecke ich auf und werfe einen Blick auf Britta.
    Irgendwann liegt sie nicht mehr da, und der Sonne geht es mittlerweile wie dem FC unter Atzinger-Bolten – sie geht unter. Die Rothaarige ist ebenfalls verschwunden, aber ich höre leises Stimmengewirr und rolle mich aus dem Bett, greife mir eine kurze Hose und mache mich auf, die Lage checken.
    Ein kurzer Boxenstopp im Bad lässt meinen Atem besser

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