Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)
einen Wisch, der mir bescheinigt, am Montag eine Gesangsanlage und eine Monsteranlage in der Dienststelle Ehrenfeld abholen zu können.
Als der letzte Beamte die Wohnung verlässt, hebt er zum Abschied den Zeigefinger. Steht einfach nur da und schaut uns der Reihe nach an. Alles klar. Das war’s. Party is over.
Die Tür schließt sich sachte, und wir stehen erst mal ziemlich dumm herum. Ist ein übler Cut, ohne Musik. Plötzlich versteht man, was die Person, mit der man sich seit Stunden unterhält, erzählt. Die Stimmung fällt spürbar. Schimanski packt behutsam sein geliebtes Brett ein, während Sabine daneben steht und mit Argusaugen beobachtet, wie er es streichelt und abwischt, bevor er es sanft in den Koffer bettet.
»Na dann, alles Gute zum Geburtstag«, wünsche ich ihr.
Sie sieht mich gar nicht, hat nur Augen für den Brettspieler. Ich stehe noch ein bisschen herum, zögere das Unvermeidliche ein wenig hinaus, dann mache ich mich auf den Weg durch die Ruinen.
Als die ersten Uniformen sichtbar wurden, hatten es einige Leute sehr eilig, sich zu entsorgen. Um das Klo herum liegt genügend Dope, um Christiania durch einen harten Winter zu bringen, und von den Usern fehlt natürlich jede Spur. Genauso wie von der Klobrille, die einen neuen Besitzer gefunden hat. Der Duschvorhang ist am Boden zerstört, die Handtücher müssen auf die Sondermülldeponie, und das Zimmer, in dem die Tänzer tobten, sieht aus wie Dresden nach dem Krieg.
Durch das ausgehängte Fenster zieht eine laue Brise herein und verteilt den Qualm, der vom Teppich aufsteigt. Die Deckenleuchte ist zerschlagen, und jemand Innovatives hat die Glühbirne durch ein Frankfurter Würstchen ersetzt. In der New Yorker Kunstszene könnte ich dafür sicherlich fünftausend Dollar herausschlagen, aber wie immer hinkt Europa hinterher, also esse ich es.
Wenn man davon absieht, dass der Backofen dabei ist, ein paar Lederstiefel durchzuschmoren, und der Boiler nur noch halb an der Wand hängt, scheinen wir davongekommen zu sein, es muss nicht einmal renoviert werden. Schlaffis!
Während ich mir meinen Weg durch die Überreste bahne, klappert die Haustür ununterbrochen, und als ich schließlich wieder in der Küche lande, ist die Lage fast schon wieder familiär. Sogar Mister Hyde ist verschwunden. Als Max auftaucht und schwere Arbeitshandschuhe trägt, weiß ich auch, warum.
Ich knalle mich in einen Sessel und atme durch. Seit zwei Tagen bin ich im Einsatz, und mein Körper schreit mich müde an, aber mein Hirn rattert immer noch hochtourig. Miststück! Schlimmer noch, ich werde langsam wieder nüchtern, und wenn ich eins hasse, dann ist es, nüchtern zu werden, ohne schlafen zu können, also hole ich mir das Klapperkästchen aus der Jacke und bastele aus den Resten einen riesigen Apparat. Wenn ich an den Hammer von vorhin denke, dann steht gleich definitiv das N. D. bevor. Exakt, was ich jetzt brauche. Miststück! The same procedure as last year? The same as every year. Nein!
Nach dem zweiten Zug schlägt es ein. Als Letztes erkenne ich noch, wie Britta mir zuwinkt, dann bin ich weg.
Nasse Schwämme gleiten über mich. Ein Tintenfisch umarmt mich, saugt sich an mir fest, massiert mich. Das tut gut. Endlich kümmert sich jemand um mich. Ich streichele den Tintenfisch. Sie ist so weich. Sie küsst mich sanft, zieht mich aus, streicht mir die Haare aus dem Gesicht. Dankbarkeit durchströmt mich.
»Danke, Tintenfisch«, flüstere ich.
Der Tintenfisch kichert und legt mir einen nassen, weichen Saugnapf auf den Mund.
»Sanft dran saugen ...«
Ich gehorche. Das ist schön. Sie legt mir noch einen Saugnapf auf den Schwanz. Ach, dafür haben Tintenfische so viele ...
Langsam gleite ich hinüber.
11. Blues
T öne. Wundervolle Töne umströmen mich, locken mich, bringen mich zurück. Ich schlage die Augen auf. Neben mir liegt Britta in ihrer typischen Schlafhaltung und röchelt leise. Ich löse mich vorsichtig aus ihrem Griff und will mich gerade aus dem Bett rollen, als ich plötzlich gegen einen weiteren Körper stoße. baff ! Herzrasen ... Dann erkenne ich, dass es eine von Brittas Mitbewohnerinnen ist. Ihr rotes Haar schimmert rosa im Morgenlicht. Ich klettere über sie hinweg und folge den Tönen.
Die Quelle sitzt in einer blitzblanken Küche und spielt selbstvergessen auf dem Brett. Auf dem Tisch liegen Baguettes und auf dem Herd dampft frischer Kaffee.
»Das ist schön.«
»Das Leben ist schön«, strahlt er.
Vielleicht ist sein Leben
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