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Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Titel: Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbæk
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was im Schädel eines so kaputten Menschen vor sich ging. Ich setze mich ins Wohnzimmer und schaue mich um. Es ist aufgeräumt. Das Einzige, was nicht hier hinpasst, ist eine schlecht zusammengerollte Nylonschnur, die achtlos dahingeworfen liegt. Das wird doch nicht ...
    Ich werfe einen schnellen Blick zur Küchentür und trete die Schnur, so weit wie es geht, unter das Sofa. Nicht nachdenken! Nicht nachdenken!
    Ich setze mich wieder hin und schaue aus dem Fenster. Der Garten ist wie immer. Blüht in allen Farben. Bienen summen. Zeit vergeht. Das Telefon klingelt. Mein Herz springt, und ich greife nach dem Hörer, ich weiß, dass sie es ist. Sie hat sich verspätet, ist aber gleich da und freut sich, uns alle zu sehen.
    »Ja?«
    »Schönen guten Tag. Hier ist Müller von der Firma Splenda. Ist Frau Rolsted zu sprechen?«, fragt eine Männerstimme.
    »Nein.«
    »Wann kann ich sie denn erreichen?«
    »Worum dreht es sich denn?«
    »Mit wem spreche ich?«
    »Ich bin der Sohn von Frau Rolsted.«
    »Ach so, ja dann, gratuliere, Ihre Mutter hat bei unserem Preisausschreiben mitgemacht und ein TV-Gerät gewonnen.«
    Der Garten ist wirklich schön. Normalerweise müsste sie jetzt da draußen sitzen und singen.
    »Sind Sie noch dran?«
    »Sagen Sie das noch mal«, flüstere ich.
    »Stereosound, Bildschirmtext, siebzig Zentimeter.«
    »Das meinen Sie nicht im Ernst ...«
    »Doch, doch, gewonnen! So ist es im Leben – unverhofft kommt oft. Also, wann kann ich Ihre Mutter erreichen?«
    »Sie kommen zu spät.«
    »Ich kann morgen früh noch mal ...«
    »Meine Mutter ist tot.«
    Es bleibt zwei Sekunden still in der Leitung, dann wird sie unterbrochen. Ich lege den Hörer auf und lächele. Das Leben ... Der Anflug von Leichtigkeit verflüchtigt sich sofort wieder, als mir klar wird, was als Nächstes ansteht. Ich stehe auf und gehe in die Küche.
    »Seid ihr so weit?«
    Sie nicken. Haben wieder geweint. Sarah hält mir die Briefe entgegen.
    »Willst du sie?«
    Fast schlage ich sie, dann schüttele ich nur den Kopf. Sie steckt sie ein, als wären sie was Kostbares. Dann gehen wir es an.
    Das Testament und die Dokumente für die Beerdigungsformalitäten liegen seltsamerweise griffbereit. Ihr letzter Wunsch war es, in Dänemark verbrannt und bestattet zu werden. Wir suchen trotzdem weiter. Nach Erinnerungen. Ich habe jetzt schon Angst vor meinen.
    Aus den Unterlagen, die wir finden, geht hervor, dass sie hoch verschuldet war. Wir haben keine Ahnung, was sie oder das Arschloch mit all der Kohle angestellt hat, aber es ist schnell klar, dass wir das Erbe ausschlagen müssen.
    Auf einer Kommode steht ein Nähkästchen. Solange ich denken kann, hat sie diesen Kasten benutzt. Ich packe ihn ein, obwohl ich ihn nicht behalten werde. Will nur wissen, wo er ist.
    Nach einer Stunde wird es zu viel. Wir haben alle etwas, was wir von ihr mitnehmen wollen, und brechen auf. Vor der Tür hat sich ein Haufen aus Nachbarn und Gaffern zusammengerottet. Ein alter Mann kommt auf mich zu.
    »Ich habe ihn gefunden«, sagt er.
    Ich nicke und schaue auf den Boden, gehe weiter, komme mir vor wie ein beschissener Leichenfledderer.
    Nach einem Zwischenfall beim Bestattungsinstitut, wo ein Menschenhasser so lange versucht, aus der Überführung nach Dänemark Geld herauszuschlagen, bis Susann wieder anfängt zu weinen und ich ihm den Schreibtisch abräume, sind wir wieder bei Sarah und schauen uns alte Fotos an. Die Stimmung ist etwas besser. Sarah und Susann weinen nur manchmal. Bei mir tut sich immer noch nichts. Keine Trauer, nur Hass. hass . Ich weiß nicht, wohin damit. Alex glänzt mit dummen Bemerkungen über den Mörder. Ich sage ihm nicht, wie sehr er mich an ihn erinnert. Meine Kiefermuskeln schmerzen.
    Als ihm nichts mehr einfällt, beginnt er, über Mor zu lästern.
    »Wie konnte sie nur mit so einem Typen zusammenleben?«
    Ich schaue zu Boden. Versuche, bei mir zu bleiben, aber es wird mit jedem Atemzug schwieriger. Er legt es richtig darauf an, und ich bin so verdammt schwach, merke, wie meine Fäuste sich ballen, und renne im letzten Moment aus dem Haus, spurte durch den Garten auf die Straße. Ich habe Angst. Vor mir. Hab Angst, so zu werden wie die.
    Ich laufe, bis mir schlecht wird. Der Regen erfrischt. Ein Gefühl, das sie nie wieder haben wird. Das Leben so schön.
    Irgendwann muss ich kotzen. Eine Ewigkeit knie ich im Straßengraben. Erst als ich nichts mehr von mir geben kann, hocke ich mich auf einen Kilometerstein und starre in den

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