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Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Titel: Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbæk
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zwei Abschiedsbriefe. In dem ersten bittet er denjenigen, der ihn findet, seine geliebte Ehefrau zu benachrichtigen, dass seine Schmerzen zu groß sind, um weiterleben zu können. In dem zweiten schreibt er, er hat beschlossen, seine geliebte Ehefrau mit in den Tod zu nehmen, weil sie ohne ihn nicht leben könne. Daraus schließt die Kripo, dass es eine Handlung im Affekt war. Dass die Hündin eine Woche zuvor eingeschläfert worden ist, deutet auf das Gegenteil hin, aber wen interessiert das schon? Opfer identifiziert, Täter tot, Fall abgeschlossen. Kein Ansprechpartner, keine weitere Auskunft.
    Wir fahren zur Pathologie. Endlich ohne Alex. Ich stehe unter Strom, wenn er in der Nähe ist. Während der Fahrt reden wir über alles andere. Sarah erzählt von der Schule für frühmusikalische Erziehung, die sie eröffnet hat, Susann von ihrem Kindergarten. Ich höre nur zu, genieße es, die beiden bei mir zu haben. Lange her. Zu lange. Bei Susann, weil sie wieder nach Dänemark zurückging, bei Sarah wegen Alex. Sie meint, ihn gegen mich verteidigen zu müssen, dabei greife ich gar nicht ihn an, nur Dinge, die er tut. Sarah sieht keinen Unterschied, und ich ertrage blinde Loyalität nicht. Aber es ist ihr Leben, ihr Mann und damit auch ihr Problem, daher habe ich mich in den letzten Jahren zu dem Thema zurückgehalten, um zu der geografischen nicht eine noch größere Entfernung zwischen uns zu bringen. Ich ahne schon, dass es schwer sein wird, das durchzuhalten.
    Als wir vor der Pathologie anhalten, sagt Sarah, dass sie nicht mit reingehen kann. Sie will sie anders in Erinnerung behalten.
    »Grüß sie«, sagt sie, als wir aussteigen.
    Wir müssen ein paar Minuten in einem Empfangsraum warten. Kerzen flackern. Die Stille wiegt Tonnen. Dann werden wir zu ihr geführt. Sie liegt, in ein weißes Laken gehüllt, auf einem Bett. Wir stellen uns daneben und schauen sie sprachlos an. An der Stelle, wo ihr vor Jahren ein besoffener Autofahrer das rechte Bein abgefahren hat, fällt das Laken abrupt auf das Bett hinunter, und erst jetzt, wo ihre Energie nicht mehr auf mich einwirkt, wird mir so richtig bewusst, dass meine Mutter behindert war. Ihre Zungenspitze schaut zwischen ihren Lippen leicht hervor, und dort, wo das Laken verrutscht ist, erkennt man an ihrem Hals die Fingerabdrücke ihres Mörders. Ansonsten liegt sie da, als würde sie gleich aufstehen und einen Witz machen.
    Wir warten ein paar Minuten, aber sie tut es nicht. Susann weint wieder. Ich will sie berühren, küssen, irgendwas sagen, aber ich kann nicht.
    »Ob sie was gespürt hat?«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Sie hat geschlafen und ist einfach nicht mehr aufgewacht.«
    Ich weiß nicht, ob sie mir glaubt. Ich hoffe es. Ich würde es gerne selber glauben.
    Wir stehen noch ein paar Minuten rum, dann tue ich es. Ich strecke meine Hand aus, um Mors Wange zu streicheln. Als ich sie berühre, kriege ich einen Schock. Sie ist eiskalt ! Ich zucke zurück.
    Susann schaut mich erschrocken an.
    »Was ist denn?!«
    »Nichts.«
    Jetzt weiß ich, was Sarah damit meinte, dass sie Mor anders in Erinnerung behalten will. Lebend. Warm. Ich muss Susann hier herausbekommen.
    »Lass uns gehen.«
    Sie schaut zu Mors Körper.
    »Können wir sie alleine lassen? Braucht sie uns nicht noch, irgendwie ...«
    Ich gehe zu ihr, nehme sie in meine Arme.
    »Sie ist nicht mehr hier. Komm.«
    Sarah wartet vor der Tür.
    »Ich habe die Schlüssel für die Wohnung«, sagt sie. »Wir könnten noch mal rein. Wollen wir?«
    Wir wollen. Vielleicht treffen wir sie ja da. Irgendwo muss sie ja sein.
    Ich war noch nie in ihrer Wohnung, ohne dass sie da war. Ist ohne sie fremd. Das Bett ist auf ihrer Seite zur Hälfte abgezogen, ansonsten sieht es in der Wohnung völlig normal aus. Irgendwie hatte ich gedacht, Hinweise zu finden. Worauf, weiß ich nicht, aber irgendwas ...
    Die Abschiedsbriefe liegen fein säuberlich auf dem Küchentisch. Als ich sie lese, durchfährt mich ein greller Stromschlag. Brennt durch mich durch, und ich muss mich zusammenreißen, um meinen Hass nicht an den Menschen auszulassen, die bei mir sind. Ich höre meine Zähne knirschen, versuche zu atmen. Er ist tot! er. ist. tot. Weg. Vergangenheit. Hat ausgeschissen. In der Hölle. Am Ende. Fertig, over, tot ... Und das erspart ihm Schmerzen! jetzt reiss dich verdammt noch mal zusammen!
    Mein Gesicht schmerzt. Ich lasse die beiden mit den Briefen alleine, die sie immer und immer wieder lesen, als könnten sie dadurch begreifen,

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