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Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Titel: Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbæk
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das natürlich, hat aber gleichzeitig kein Verständnis dafür, dass ich für mich bin. Sie sagt, gerade jetzt wäre sie gerne bei mir. Ich auch.
    Eines Abends erwischt sie mich am Telefon. Wir reden lange, und sie weicht einen Teil von mir auf, aber, nein, sie braucht nicht rüberzukommen. Ich habe Angst, sie anzufassen. Angst, dass sie kalt ist.
    Nach dem Telefonat fange ich an zu schreiben, bevor das Eis wieder gefriert. Das Papier verschwimmt vor meinen Augen. Es tut weh. Und gut. Zu weinen. Endlich. Zuerst habe ich Angst, nicht wieder aufhören zu können, dann kommt die Angst, aufzuhören, denn endlich spüre ich mich. Ich atme. Ich bin warm, ich bin hier. Ich lebe ! Aber das Eis kommt wieder.

15. Zeit
    I ch sitze auf der Dachrinne und warte. Keine Ahnung, worauf. Vielleicht auf den Eisbrecher. Vielleicht auch auf zehn Meter freien Fall. Ich habe solche Sehnsucht nach irgendeinem Gefühl ... Vielleicht würde der Schmerz vom Asphalt mich wieder zu mir bringen.
    Ich lehne mich vor, schaue hinunter. Die Tiefe lockt. Der Wind berauscht mich. Er ist stark heute. Vielleicht würde er mich ein paar Sekunden tragen. Fliegen. Ich schließe die Augen ...
    Das Telefon klingelt, schneidet durch den Wind, bricht den Bann. Ich lehne mich wieder zurück, klammere mich an den Fenstersims und drehe mir zitternd eine Zigarette. Die Maschine springt an. Lügt für mich. Es ist Roman. Er hat gehört, was passiert ist, und ist wieder von Mallorca zurückgekommen, wo er die Insel vergeblich nach seinem Schriftstellerspirit abgesucht hat. Er beschimpft mich. Sagt, er hätte gedacht, wir wären Freunde, und dass ich ein gottverdammter Lügner wär. Ich sollte schnellstens meinen Arsch an das beschissene Telefon schieben, ich hätte die Scheißpflicht, ihn anzurufen, und ob ich schon mal von dem Wort Verantwortungsbewusstsein gehört hätte ...
    Zum Schluss überschlägt sich seine Stimme. Er hat Angst. Angst um mich. Angst um unsere Freundschaft. Vielleicht hat er auch den Wind gespürt. Aber ich wäre nicht gesprungen.
    Ich zünde die Zigarette an. Beobachte, wie der Wind den Rauch nach oben trägt. Ich doch nicht. Zu viele offene Rechnungen. In zwei Wochen ist der Gig im E-Werk, und der ist nicht nur wegen der Plattenfirmen wichtig, die sich angekündigt haben. Auch nicht wegen der Presse, die uns trotz Karin S. zurzeit mehr als freundlich behandelt. Nein, wichtig hauptsächlich wegen der Jungs, die in den letzten Wochen alle meine Anfälle klaglos über sich ergehen ließen. Ich schulde ihnen was, und die beste Art, die Rechnung zu begleichen, wäre, mir bei diesem Gig das Herz herauszureißen und den besten Auftritt aller Zeiten hinzulegen. Oder zumindest einen normalen. Aber ich mache mir keine Illusionen, momentan sieht es nicht gut aus. Es sieht nicht einmal schlecht aus. Es sieht nach gar nichts aus. Das Eis ist zu stark. Ich fühle mich wie der Eismann persönlich, kalt, zu, dicht. Nichts davon klingt nach Rock ’n’ Roll. Bin aus der Spur gelaufen, habe nichts zu geben, nichts zu sagen, außer: Lasst mich zufrieden! Und das ist kein Spruch, der einen Club zum Toben bringt.

16. Danmark
    A m nächsten Morgen mache ich mich endlich auf den Weg und bin zwölf Stunden später in Vejby/Dänemark, in dem Sommerhaus von meinem Dad. Er ist mittlerweile dreiundsiebzig, und seine Freundin Grete ist noch zwei Jahre älter, doch sie benehmen sich wie kleine Kinder, nichts als Blödsinn im Kopf. Ein Genuss, die beiden zu beobachten.
    Beim Abendessen erzähle ich Far alles. Er sagt nichts dazu. Was gibt es auch zu sagen? Dennoch hatte ich gehofft, dass er den einen Spruch rausgetan hätte, der alles erklärt. Stattdessen drückt er mir meinen alten Badereifen in die Hand und sagt: »Geh schwimmen.«
    Wenn man mit dem Meer zusammen sein will, dann geht man einfach rein und wird Teil der Bewegung. Es öffnet sich und nimmt einen, je nach Laune, mal sanft oder etwas rauer auf. Wenn man genug hat, schwimmt man zurück. Das Meer schließt sich wieder und macht weiter wie gehabt. Es macht sich nicht davon abhängig, ob du da bist oder nicht, nimmt dich aber immer wieder auf, scheißegal, wie es dir gerade geht. Ebbe und Flut. Tag und Nacht. Jahr für Jahr. Berechenbar, zuverlässig, stark. Eine bessere Freundschaft kann es nicht geben. Ich bin zu Hause.
    Sonnenaufgänge, Sonnenuntergänge, Sonnenaufgänge, Sonnenuntergänge. Den Morgen verbringe ich am Strand, mittags essen wir zusammen, nachmittags bin ich wieder am Strand, bis die Sonne

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