Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)
Himmel. Ein Punkt zwischen zwei Punkten. Kein Anfang, kein Ende. Brennender Hass, eisige Kälte.
»Geht’s Ihnen nicht gut?«
Eine alte Frau steht vor mir und schaut mich mitleidig an.
»Soll ich Ihnen einen Krankenwagen rufen?«
»Es geht schon ...«
»Sie werden sich erkälten«, sagt sie und geht weiter.
Ich schaue die verlassene Straße hinunter. Der Regen nimmt zu. Ich will zu meiner Familie, nach Hause, heim. Ich will zu meiner Mama. Aber sie ist nicht da. Doch meine Geschwister sind da.
Als wir klein waren und mein Vater rauskam, um uns zum Essen oder Schlafen ins Haus zu rufen, da kreierte er aus Faulheit eine Abkürzung unserer Vornamen: »SaSuTa.« Von da an waren wir immer, wenn wir zusammen waren, »SaSuTa« – zu dritt. Das machte uns stärker als die anderen. Um dieses Gefühl für ein paar Stunden zu haben, will ich versuchen, mich zu beherrschen, will ich versuchen, Alex’ Sprüche zu überhören. Will ich versuchen, meinen Hass nicht auf ihn zu projizieren. Nur ein paar Stunden ...
Abends kochen wir zusammen. Ich schäle gerade Kartoffeln, als ich an Sarahs Rücken sehe, dass sie wieder weint. Ich gehe hin, um sie aufzumuntern, aber sie will nicht aufgemuntert werden, also kitzele ich sie ein bisschen. Sie mault. Ich kitzele sie weiter. Sie mault wieder, aber ein leichtes Lächeln bildet sich in dem nassen Gesicht. Ich will gerade ein richtiges Lachen aus ihr herauskitzeln, als sich Alex vor mir aufbaut.
»Lass meine Frau zufrieden.«
Ich schaue ihn entgeistert an und sehe, dass er es ernst meint. Auf eine solche Gelegenheit hat er gewartet. Ich schaue zu Sarah, sie schaut weg. Da wären wir wieder. So ähnlich war die Situation damals schon, als ich beschloss, den Kontakt abzubrechen, bis sie sich eine eigene Meinung zulegt. Es gibt nichts mehr zu sagen.
Ich packe meinen Kram und verabschiede mich von Susann.
»Du kannst dich immer melden«, sage ich im Vorbeigehen zu Sarah.
Ich warte noch an der Tür. Aber sie hebt nicht den Blick. Wie kann sie nur ... Sieht sie nicht die Parallele? Sieht sie nicht, dass sein Ego ihm nie erlauben wird, ihr zu gönnen, dass sie glücklicher ist als er?
Als ich losfahre, steht Tarzan in der Tür und triumphiert. Das endet böse.
13. Nichts
U m mich herum tobt die Band, versucht, durch übertriebene Härte zu kaschieren, dass ihr Sänger nicht anwesend ist. Ich liefere gerade den schlechtesten Gig meines Lebens ab, und es ist mir egal. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich auf der Bühne passiv und lasse die Jungs im Stich. Ich sehe es und kann nichts dran ändern.
Auf dem Heimweg ist es merklich ruhig im Bus. Les McCann’s River high, river low geht spurlos an mir vorbei. Es muss schlimm um mich stehen.
Die Jungs wissen Bescheid. Es gab kein böses Wort nach der Show. Außer vom Clubbesitzer. Er machte sich einen Spaß daraus, uns zu erklären, dass voll abzuräumen nicht bedeutet, den Saal leer zu spielen. Daraufhin fasste Max ihn an den Armen und trug ihn aus dem Backstagebereich. Beim Abbau war von dem Typen nichts mehr zu sehen. Keine Ahnung, was Max mit ihm gemacht hat, aber die Securities ließen uns zufrieden, und die Gage bekamen wir auch. Wozu auch streiten? Der Typ hat Recht. Er gibt uns die Chance, nach den Lokalmatadoren zu spielen, was knifflig ist, und wir leeren die Hütte in Rekordzeit. Er hat es sowieso nur gemacht, weil er uns was schuldete. Jetzt schulden wir ihm was. Und ich den Jungs.
Das Wiederkommen war ätzend. Jeder wollte wissen, was los war, und ich wusste nichts zu sagen. War was? Ist was? Ich kriege mehr und mehr das Gefühl, dass es nur ein Traum war. Aber Mor hat sich seitdem nicht mehr gemeldet.
Britta kannte sie. Ihr war ich es schuldig, zu reden, zu erklären, als wüsste ich was. Ich habe ihr das Nähkästchen geschenkt. Jetzt weiß ich wieder, wo es ist.
Ich starre auf die Büchse in meiner Hand, sehe, dass ich sie zerdrückt habe.
»Hm?«, fragt Max.
Ich nicke. Er drückt mir eine neue Büchse in die Hand und wirft mir einen Blick zu.
»Hm?«
Ich schüttele den Kopf und lege meine Hand auf seine Schulter. Nein, ich will nicht reden, aber es ist gut, dass er hier ist. Wo bin ich?
14. Zeit
D ie folgenden Wochen ziehe ich durch, als hätte ich eine Deadline. Ich renoviere die Wohnung, räume den Keller auf, mache Sport und gehe Kohle anschaffen. Alles, was nur Technik, Disziplin und Kraft erfordert, funktioniert. Alles andere nicht. Britta ist verletzt. Sie will mir helfen. Kann sie nicht. Sie versteht
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