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Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Titel: Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbæk
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er es schafft, dieses Zeug in so rauen Mengen zu sich zu nehmen und trotzdem noch so aggressiv zu spielen. Er raucht drei, vier Türme vor jedem Gig, und dennoch kenne ich keinen Gitarristen mit einem solchen Attack.
    Ein Stagehand steckt den Kopf rein.
    »Fünf Minuten!«
    Ich merke, wie mir meine Lieblingsdroge durch die Adern schießt, die Droge schlechthin – Adrenalin. Das Ganze passiert hier und jetzt, da kann man nicht breit und woanders sein. Eine Einstellung, die mir von den abgenagtesten Typen in diesem Zirkus die Prophezeiung einbrachte, dass ich in ein paar Jahren der Kaputteste von allen sein würde. Drogen könne man schließlich nachkaufen – Seele nicht.
    Ich gehe zu Boden, mache meine Dehnungen, Liegestütze, Spagat. Komme wieder hoch. Lockerungsübungen, Schattenboxen. Meine Muskeln pumpen sich auf, Blut rast und bringt mich auf hundertachtzig.
    »Eine Minute!«
    Sechzig Sekunden noch. Jetzt kann nichts mehr schief gehen.
    »Natürlich nicht«, versichert Britta mir.
    Letzte Küsse und los. Beim Rauslaufen bremse ich neben der Rothaarigen kurz ab.
    »Was ist?«
    »Tintenfisch«, sagt sie, dann prustet sie hysterisch los.
    Ich mustere sie. Die spinnen, die Rothaarigen. Nachdem sich diese Erkenntnis manifestiert hat, spute ich mich, denn die Jungs haben es wie immer sehr eilig. Sie rennen, ohne anzuhalten, auf die Bühne raus – Jubel brandet auf. Gott, welch ein Geräusch!
    Als sie startklar sind, schauen sie sich kurz an und legen dann los. Erst sechzehn Takte ohne mich, dann sechzehn Stücke mit mir. Altbewährt und kampferprobt.
    Auf den zwölften Takt stürme ich raus. Der Jubel verstärkt sich. Privileg eines Sängers. Ich werfe einen Blick in die erste Reihe und picke mir ein paar obligatorische Problemfälle heraus, die man grundsätzlich in der ersten Reihe findet – verschränkte Arme, grimmige Blicke. Wir gehen zwar ins Konzert, aber es soll nachher keiner behaupten können, wir hätten Spaß dabei! Ich werfe mich vor einer auf die Knie und rocke ihr meine Meinung.
    Als die erste Strophe durch ist, klammert sie sich nur fester an ihre Handtasche, also steppe ich zu dem nächsten Problemfall rüber und hoffe auf wildere Reaktionen. Sie nutzt die Strophe dazu, meine Schuhe intensiv zu mustern, aber als ich im Kehrreim weitersteppen will, hebt sie den Kopf und lächelt schüchtern. Ha! Von wegen, man kann mit Musik nichts erreichen!
    Ich rocke mich an der vordersten Front entlang, steige auf Monitorboxen, tanze Schimanskis irres Solo mit, klettere auf die Frontbox und singe dort oben den letzten Kehrreim, bevor ich auf den letzten Ton runterspringe.
    Als wir auf der Eins landen, bricht in der Halle die Hölle los. Wenn man es nicht gewohnt ist, von zweitausend Leuten angebrüllt zu werden, kann man es echt mit der Angst kriegen.
    »Scheiße, die wollen nicht mitmachen !«, schreit Schimanski. »Die wollen uns fertig machen!«
    Er springt an den Bühnenrand und hämmert die Riffs der zweiten Nummer tief in den Beifall hinein.
    Eine Stunde später ist die Bühne voller umgekippter Becher, schweißdurchtränkter Handtücher und ausgedrückter Kippen. Es ist bestimmt nicht unser bester Gig, aber mit Sicherheit der wildeste. Die Leute treiben uns an, wollen haben, was drinliegt, und wir lassen es raus. Die Jungs werfen den sechsten Gang ein, und der Fahrtwind weht mich wie ein willenloses Geschöpf über die Bühne. Ich wedele mit den Armen, versuche, ein paar der übrig gebliebenen Sauerstoffatome zu erwischen. Als Antwort reißen sie unten die Arme wieder hoch. Der zweite Problemfall hat seine Handtasche weggelegt und tanzt. Der andere Problemfall ist aus der ersten Reihe verschwunden. Eins zu eins ist okay für mich.
    In der fünften, sechsten Reihe sehe ich Britta. Unsere Blicke treffen sich. Sie hebt die Hand und winkt mir zu. Ich mache es ihr nach und löse damit hinter mir ein Chaos aus. Die Jungs denken, es wäre das Zeichen für das nächste Stück und gehen voll in die Bremsen, um möglichst schnell von hundertachtziger Roll auf hundertzwanziger Reggae runterzukommen. Die Kiste schlingert, bricht aus, mangelt ein Dutzend Leitplanken nieder, überschlägt sich ein paarmal, um dann endlich auf der richtigen Spur zu landen – leider verkehrt herum.
    Es ist lustig zu sehen, wie die Halle mit ausbricht. Für zehn endlose Sekunden weiß keiner so richtig, wo die Eins ist, und als man sie endlich gefunden hat, fällt einigen ein, dass Reggae offbeat ist, also geht die Suche weiter, bis man

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