Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)
sich schließlich an einer Kreuzung trifft und beschließt, von dort aus gemeinsam weiterzufahren.
Ich ducke mich rechtzeitig, um dem Stick, den Max nach mir wirft, zu entgehen, und werfe ein Entschuldigungsgrinsen in die Runde, aber für so etwas haben die Jungs jetzt keine Zeit. Sie sparen sich das Intro und gehen direkt in die erste Strophe, sodass ich meinen Einsatz verpasse. Peinlich. Jetzt sind sie an der Reihe, blöde zu grinsen, während ich die erste Zeile turborocke, um den Song einzuholen.
Leeeebeeen, es ist ein geeeeiles Gefühl ... zu leeeeben ... Der Kehrreim verselbstständigt sich. Ich tänzele zur Seite und lasse mir ein Handtuch geben, während ich meinen Blick über die groovende Halle gleiten lasse. Vorne rechts tanzt eine lila Fraktion. Als ich genauer hinschaue, erkenne ich Halbtagsjob & Singlepartys mit ihrer Freundin. Sie tanzen und flirten dabei auf Teufel komm raus mit den Jungs neben ihnen – na, die Frauenbewegung mögen die.
Ich schaue automatisch auf den Platz unten links, wo Mor immer saß, wenn wir in ihrer Gegend spielten. Wir hievten sie vor dem Konzert mitsamt ihrem Rollstuhl auf einen Tisch und stellten zwei Securities daneben, damit sie vor lauter Temperament nicht wieder herunterrollte.
Schimanski stupst mich an.
»Lass sie!«, brüllt er.
Wir setzen uns auf das Schlagzeugpodest und tropfen um die Wette. Brunner kommt dazu. Max. Der Anblick der Halle ist sensationell. Die Leute machen ihren Sound, und wir strahlen um die Wette. Die fetten Scheinwerfer verblassen dagegen.
Leeeebeeen ... Die Leute werden immer lauter und winken uns zu. Sie singen und tanzen, und in mir ... etwas Kaputtes geht kaputt. Es wäre ein guter Augenblick, um zu sterben.
»Kein schlechter zu leben«, sagt Schimanski selig.
»A-A-Abgeräumt!«, flüstert Brunner ehrfurchtsvoll.
»Schlimmer noch«, sagt Max, »die kommen wieder.«
Brunner kichert.
»Ge-Ge-Ge- ...«
»Ich weiß, es klingt übel«, unterbreche ich ihn, »aber ich muss es euch sagen ...«
Sie starren mich an.
»Ich liebe euch alle.«
»A-A-Arschloch!«
Als wir ein paar Stunden später durch das stillgelegte E-Werk schwanken, ist wieder dieses Etwas in mir. Ich bleibe stehen, lasse die Jungs vorausgehen, um in Ruhe nachzuschauen, was ... Für einen Augenblick stehe ich in der Pathologie und schaue auf Mors Körper. Eben noch warm, im nächsten Augenblick so kalt wie diese Halle, die eben noch vor Leben gestrotzt hat und jetzt leer und dunkel vor mir liegt. Ich atme die Ausdünstungen von tausenden Menschen ein, und in meinem Blut fließt noch das Gig-Adrenalin, trotzdem ist das Konzert unwiderruflich vorbei. Vorbei. Vergangen. Und egal, wie sehr ich es zurück möchte – es wird nie zurückkommen. Ich kann nichts festhalten, ich kann nur genießen, solange es währt. Es war schön. Es ist vorbei. Und wenn ihr euer Leben verpfuscht, nur weil meines zu Ende ist, dann komme ich zurück und trete euch in den Popo! Wenn ihr etwas von mir wollt, dann nehmt es euch jetzt!
Und das ist es! Verdammt, das ist es ...! Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen! Ich kann diese Halle nicht wieder füllen, ich kann meine Mutter nicht wieder zurückholen! Ich kann an sie denken, um sie trauern, sie vermissen, über die schönen Erinnerungen lachen und heulen, aber ich kann die verdammte Zeit nicht zurückdrehen ! Es gibt keine Vergangenheit! Es gibt keine Zukunft! Es gibt nur hier! Und jetzt.
Das Eis, von der dänischen Sommersonne zu Pfützen geschmolzen und im heißen Scheinwerferlicht fast verdampft, weicht aus meinen Knochen und gibt mich frei. Ich bin wieder da, jetzt bin ich wieder da! Ein Power-Energiestrahl durchschießt mich, meine Nackenhärchen richten sich auf, und was ich die ganze Zeit wusste, weiß ich jetzt: Meine Mutter ist tot. Aber ich lebe! jaaaaaa! wo ist das gottverdammte gaspedal!!!!!!
24. Verlängerung
W ir liegen nackt am Strand und lassen uns von der Sonne verwöhnen. Unsere Schenkel sind zu einem verklebt, und neben mir liegt eine leere Sektpulle, die die gewünschte Wirkung erzielt hat. Das Meer rauscht, die Möwen kreischen, die Sonne knallt, ja, es geht mir gut. Der Gig liegt jetzt vier Tage zurück. Die anschließende Party dauerte fast zwei Tage, und zum Schluss war kein Zahnfleisch mehr übrig, auf dem wir hätten ins Bett kriechen können. Ich will ja nicht behaupten, dass wir noch nie eine Party gefeiert haben, aber ...
In der letzten E-Werk-Zugabe sagten wir durch, dass wir anschließend noch eine
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