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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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verzehrten sie noch halb roh. Immer wieder legten sie neue Muscheln auf den Stein, der zum Mittelpunkt eines Festschmauses von Meeresfrüchtenwurde. Nachdem er sie beobachtet und alles begriffen hatte, wagte sich auch Narcisse vor und legte eine Handvoll Muscheln darauf. Niemand schenkte ihm Beachtung, auch nicht, als er einige wegnahm, um sie zu kosten. Die Hitze des Mittags und der Glut waren kaum zu ertragen, es wehte kein Lüftchen. Wie die Frauen und Kinder aß er, so viel er konnte. Nach all den Mahlzeiten, bei denen Fleisch ohne weitere Zubereitung in der Glut gegart worden war, war der Geschmack von Jod und Salz angenehm, und dass es mehr als genug Muscheln gab, beruhigte ihn.
    Er ruhte sich wie die Frauen im Schatten der Bäume aus. Sie gehörten immer zu ein und derselben Art, deren Name er nicht kannte. Dann ging er wieder ins Meer, um sich zu baden und abzukühlen. Der achtjährige Junge, der ihm am Abend zwei Tage zuvor lange zugeschaut hatte, kam mit ihm und spielte an seiner Seite, er lief um ihn herum, spritzte mit Wasser, lachte auf, lief fort und kam wieder. Seit sich Narcisse unter den Wilden befand, war es das erste Mal, dass sich jemand für ihn interessierte. Wie weit waren seine Cousins und seine Schulkameraden entfernt, mit denen er einst am Waschhaus und am Fluss gespielt hatte …
    Nachdem er eine letzte Kapriole gemacht hatte, hielt der kleine Junge inne, richtete sich mit ernsthafter Miene vor ihm auf, legte eine Hand an die Brust und sagte:
    «Waiakh.»
    Dann zeigte er mit der rechten Handfläche auf Narcisse:
    «Amglo.»
    Narcisse ließ sich auf das neue Spiel ein.
    «Du heißt Waiakh? Waiakh. Amglo. Waiakh. Amglo. Ich heiße Narcisse.»
    Der Junge war verblüfft, beide Namen zugleich aus dem Mund von Narcisse zu hören, und wiederholte noch mehrmals: «Waiakh». Dann lief er fort, um seiner Mutter und anderen Kindern von der Unterhaltung zu erzählen.
    Das Muschelsammeln wurde am späten Nachmittag fortgesetzt. Nach und nach kamen die jungen Leute, jeder mit ein oder zwei stattlichen Fischen, aus dem Busch und legten die Beute auf den heißen Stein, unter dem das Feuer die ganze Zeit weiterbrannte. In der Dämmerung kehrten die Jäger zurück, mit Eidechsen, Vögeln, Fledermäusen und kleinen Pelztieren, die entfernt an Katzen erinnerten.
    Im Unterschied zu allen vorigen Mahlzeiten bediente sich jeder, wie er wollte, und es gab keine Ordnung und keine Regeln. Narcisse trat näher und nahm sich einen bläulichen Fisch mit großen Schuppen und einem vorstehenden Schnabel. Niemand hinderte ihn daran. Er setzte sich in einiger Entfernung nieder, verzehrte die Hälfte des Fisches und versteckte den Rest zwischen trockenen Blättern. Dann ging er wieder ans Feuer, bediente sich bei den Muscheln und kostete dann eine Art Taube mit recht fettem Fleisch. Die letzten Jäger waren zurückgekehrt und legten ihre Beute auf den Stein. Die Alte brachte Wassersäcke herbei, die sie irgendwo gefüllt hatte – wo, wusste er nicht – und die jetzt herumgereicht wurden. Als ein fast voller Wassersack zu ihm kam, trank Narcisse kaum, sondern erhob sich und versteckte ihn mit dem Fisch. Niemand beachtete ihn. Er setzte sich wieder ans Feuer, aß sich an den Muscheln satt und schaffte es, eine Eidechse verschwinden zu lassen, die er zu seinen anderen Reserven legte.
    Das ausgiebige Mahl stimmte den Stamm froh. Niemals zuvor hatte Narcisse so viel Lachen, angeregte Unterhaltung und Gesang gehört. Ein Paar brach zu einem Strandspaziergang auf, dann ein anderes. In der Dämmerung bemerkte Narcisse zwei schwarze Schatten, die sich im Sand hin und her bewegten und herumtollten.
    Er erwachte vor Morgengrauen. Der Himmel war tiefschwarz, aber nicht mehr undurchdringlich, sondern hatte jetzt Weite und eine gewisse Durchsichtigkeit. Nach all den Nächten, in denen er an Deck Wache geschoben und auf den Tagesanbruch gewartet hatte,wusste Narcisse, dass diese Veränderung die allererste Morgenröte ankündigte. Er stand auf, tastete sich zu seinen Vorräten, die er versteckt hatte, und drang, über unsichtbare Hindernisse stolpernd, in den Busch vor. Die Wilden schliefen alle.
    Als er glaubte, sich weit genug entfernt zu haben, machte er Rast und verzehrte den halben Fisch, der sich schlecht tragen ließ. Um zur Bucht der Verlassenheit zu gelangen, musste er einfach nur dem Küstenverlauf folgen. Er nahm an, dass es leichter sein würde, parallel zum Meer, auf dieser um zwanzig Meter höheren Ebene zu bleiben, als

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