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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Ohr.
    Am folgenden Tag liefen sie den ganzen Vormittag über und gönnten den Kindern nur eine kleine Pause. Die Alte nahm ihm die beiden Wassersäcke ab und gab ihnen zu trinken. Narcisse fühlte sich kraftlos und litt unter der Schwüle, die heiße Luft stand vor Feuchtigkeit.
    Und dann erblickte er das Meer.
    Der Busch endete abrupt und umschloss in einem perfekten Halbrund einen Sandstrand, der dieselbe Größe hatte wie jener, an dem er an Land gegangen war. Doch es handelte sich um einen anderen, daserkannte er an zahlreichen Details: an dem allein stehenden Felsen, an den Riffen, die aus dem Wasser ragten, an dem fehlenden Kliff und den windschiefen Bäumen. Die Wasserfläche wurde zum offenen Meer hin von einer unüberwindbaren Nehrung begrenzt, an der sich die Wellen brachen und die drei kleine Inseln bildete, auf denen magere Sträucher standen. Unmöglich, mit einer Schaluppe einzufahren. Kein Seefahrer würde jemals seinen Weg hierher finden. Spontan kamen ihm die Namen Nordbucht und Bucht der Verlassenheit in den Sinn. Wie weit lag die Nordbucht von der Bucht der Verlassenheit entfernt? Sicher nicht mehr als zwei Tagesmärsche.
    Seit wie vielen Tagen befand er sich an Land? Er zählte sie an seinen Fingern ab: vier war er ganz allein gewesen; zwei in Gesellschaft der Alten; zwei am Rand des Wasserlochs ohne Fieber; fünf mit Fieber bis zur Genesung; zwei Tage lang waren sie marschiert. Wenn er sich nicht irrte, dann machte das fünfzehn Tage an dieser Küste. Um bis nach Java zu segeln, brauchte die Saint-Paul eine Woche, danach zwei Tage, um die Kranken an Land zu schaffen und sich für die Weiterreise zu rüsten, schließlich eine weitere Woche für die Rückfahrt bis hierher. In ein oder zwei Tagen würde die Saint-Paul oder irgendein anderes Schiff, das man ihm zur Rettung geschickt hatte, in der Buch der Verlassenheit einlaufen.
    Natürlich gab es keine Gewissheit. Die Reisedauer konnte sich durch Stürme verlängern. Um Lebensmittel zu laden und Matrosen anzuheuern, waren vielleicht mehr als zwei Tage nötig. Doch mit etwas Glück würde das rettende Schiff übermorgen am Horizont auftauchen. Und dann musste er vor Ort sein. Es galt also, etwas Essbares sowie einen Wassersack an sich zu nehmen und aufzubrechen. Wenn er immer der Küste folgte, würde er früher oder später in der Bucht der Verlassenheit ankommen. Erschöpft, mit abgerissenem Ohrläppchen, zum Gespött seiner Kameraden nackt, aber am Leben. Er erinnerte sich an seinen Schwur. Was immer ihm zustoßen mochte, dieses Abenteuer würde er lebend überstehen.
    Der Stamm machte unter den letzten Bäumen Rast. Die Schwangere und die Mütter mit kleinen Kindern blieben im Schatten, während die jungen Leute aus Laubwerk provisorische Hütten errichteten und die Männer zur Jagd aufbrachen. Die Frauen begaben sich ins Wasser, um Muscheln zu sammeln, weiße Venusmuscheln und große dunkelgrüne Miesmuscheln. Die Kinder halfen ihnen dabei und spielten in den Wellen. Narcisse konnte nicht schwimmen und hatte Angst vor dem Meer. Doch diese leicht abfallende Bucht weckte sein Vertrauen. Er watete ins Meer, überholte die Frauen schamvoll und begab sich bis zur Brust ins Wasser. Er war ein gutes Stück größer als sie und konnte viel weiter draußen noch stehen. Die Felsen um ihn herum waren von Muscheln bedeckt. Für die anderen waren sie unerreichbar, und er begann, sie zu sammeln. Als er die Hände voll hatte, ging er an den Strand zurück, und eine Frau reichte ihm einen Korb. Er legte seine Ausbeute hinein und begab sich wieder zu den Felsen. Bald war der Korb gefüllt, und er tauschte ihn gegen einen leeren ein. Er schenkte der Sonne, die auf seinen Nacken brannte, und den Lichtreflexen in seinen Augen keine Beachtung, sondern arbeitete unermüdlich weiter, denn er war froh, etwas zu tun zu haben und immer weiter Körbe zu füllen, die er bei den Frauen gegen leere austauschte.
    Währenddessen hatte man am Strand ein Feuer entzündet, das mit einem großen flachen Stein abgedeckt war, welcher seinerseits auf einem Kreis von Kieseln ruhte. Die Muscheln lagen zu unterschiedlich großen Häufchen aufgeschüttet im Sand. Ein Ruf ertönte, und die Frauen kamen aus dem Wasser und setzten sich in einen Kreis. Nachdem er seinen letzten Korb gefüllt hatte, gesellte sich Narcisse zu ihnen, so wie es auch die Kinder machten.
    Sie legten die Mies- und Venusmuscheln auf den heißen Stein, nahmen sie nach einigen Augenblicken wieder herunter und

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