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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Gewehrdonner … Die Saint-Paul würde langsam die Küste abfahren … Er würde ihre Segel sehen und ein Buschfeuer entzünden, um auf sich aufmerksam zu machen.
    Als er seinen Text eingeritzt hatte, begab er sich auf den Rückweg. Es lagen sechs Stunden Marsch bei drückender Hitze vor ihm. Er kehrte erschöpft und halb verdurstet zurück und hatte keine Ahnung, ob er das Richtige getan hatte und wie man ihn empfangen würde.
    Niemand aus dem Stamm interessierte sich für ihn. Er verzehrte Muscheln und kleine Fische und sammelte neue Kräfte. Dann entspannte er sich beim Baden im Meer. Waiakh kam herbei und spielte an seiner Seite. Das Abendessen war weniger opulent als das vom Vorabend, aber er konnte eine große fette Taube und zwei Fledermäuse ergattern. Gleich darauf übermannte ihn der Schlaf.
    Fünfter Brief
    An Bord der Strathmore, 12. Juli 1861
    Monsieur le Président,
    ich hätte niemals gedacht, dass es über die Reise von Sydney aus etwas zu erzählen geben würde. Der Gouverneur hielt sein Versprechen und kaufte, auf eigene Kosten, zwei Schiffsbillets nach London, froh, uns endlich loszuwerden. Ich habe darauf bestehen müssen, dass Narcisse wie ich in der ersten Klasse reist und nicht, wie es sich die stets aufs Sparen bedachte Verwaltungsbehörde vorstellte, in der dritten.
    Für mich war das eine Frage des Prinzips, aber auch tatsächlich notwendig. Er hatte beeindruckende Fortschritte gemacht, und so wollte ich diese Tage nicht ungenutzt verstreichen lassen, sondern die Arbeit mit ihm fortsetzen. Außerdem wollte ich ständig ein Auge auf ihn haben, denn sein Gebaren kann die Umwelt mitunter befremden.
    Wir verabschiedeten uns rasch vom Gouverneur, der kaum glauben konnte, dass dieser bescheidene und gut rasierte Mann mit grauer Hose, weitem weißen Hemd, Halstuch und blauer Kappe jener Wilde sein sollte, den er vor einem Vierteljahr in meine Obhut gegeben hatte. Und dann begaben wir uns an Bord der Strathmore, die noch am selben Abend auslief.
    Die ersten Tage der Schiffsreise verliefen recht ereignislos. Das Meer war leicht bewegt, es wehte eine steife Brise. Die Erste-Klasse-Passagiere machten untereinander Bekanntschaft: einige Offiziere und Verwaltungsangestellte, deren Zeit in der Kolonie abgelaufen war; ein Händler für Baumwollstoffe; eine Engländerin, die zu ihrem Bruder in San Francisco wollte, zwei schottische Missionare (gleichgültig, auf welchem Schiff ich mich befinde, ich treffe immerauf einige britische Missionare. Gibt es so viele von ihnen?). Narcisse und ich sind die einzigen Franzosen. Wir sind sehr beschäftigt und haben recht wenig mit den anderen zu tun.
    Am ersten Morgen spazierte er auf dem Deck herum und betrachtete sehr aufmerksam die Spiere, die Taue, die Segelmanöver, die Matrosen und ihre Vorgesetzten, die Gischt, die über das Deck spritzte, den Kapitän und seine goldenen Litzen, die Wellen und den Wind. Die Art und Weise, mit der er alles musterte, ist für mich ein weiterer, wenn auch überflüssiger Beweis dafür, dass er einmal Seemann war.
    Doch er äußert sich nicht. Ich fragte ihn, was es für ihn für ein Gefühl sei, sich wieder auf einem Schiff zu befinden, aber Narcisse spricht niemals über seine Gefühle und Empfindungen – ich weiß immer noch nicht, ob er die Frage versteht oder ob er sich weigert, sie zu beantworten, ob ihm die Worte fehlen oder ob er einfach nichts zu sagen hat.
    Eines Nachmittags, als wir uns auf Deck befanden, hatte Narcisse seine Hemdsärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Die englische Dame kam vorbei, und als sie die Tätowierungen an seinen Unterarmen bemerkte, schrie sie überrascht auf. Sie hatte mitbekommen, dass ich ihrer Sprache mächtig bin, und so fragte sie mich, was diese merkwürdigen Muster zu bedeuten hätten. Ich antwortete ihr ein wenig unterkühlt, dass mein Freund einige Zeit auf einer pazifischen Insel gelebt und den Einfall gehabt hätte, sich schmücken zu lassen. Narcisse ahnte, dass von ihm die Rede war, ohne zu verstehen, um was es ging, und er lächelte sie an.
    Am folgenden Morgen gesellte er sich beim Frühstück zu mir und sagte geradeheraus: «Heute Nacht habe ich die Engländerin gevögelt.» Als ob diese Erklärung noch nicht deutlich genug wäre, fasste er sich an den Schritt.
    Ich war verblüfft und schockiert, musste aber dennoch lachen. Und ich erklärte Narcisse, dass es sich nicht gehöre, laut und unmissverständlichmit seinen Liebesabenteuern zu prahlen. Diese neue Regel brachte

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