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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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wiederholt, dass er gänzlich harmlos sei. Narcisse wandte sich um, sah mir in die Augen und verkündete mit lauter Stimme:
    «Narcisse Pelletier … Sonne.»
    Was wollte er damit sagen? Was wollte er nur mir allein sagen?
    Sie befragten mich zu seinem Gebaren, und ich konnte nichts anderes tun, als mein Unverständnis zu bezeugen. Meine Offenheit löste Hohn aus. Révérend Père Leroy erhob sich jetzt ebenfalls und ging zu Narcisse.
    «Ausgezeichnet. Sehr interessant. Aber ich begreife nicht, welche Schlüsse ich daraus ziehen soll. Versuchen wir es mit etwas anderem. Erzähl uns, wo die Wilden wohnen. Errichten sie Hütten? Runde? Viereckige? Aus Holz, Lehm, Laub, Stein? Wohnt dort jeweils eine Familie? Männer und Frauen getrennt? Oder schlafen sie in Höhlen? Zelten? Oder vielleicht Iglus?»
    Dieser Fragenschwall musste lähmend auf Narcisse wirken, und mir schien, dass Révérend Père Leroy dies spürte und absichtlich übertrieb. Narcisse verharrte in Schweigen. Ich zögerte einzugreifen, weil ich fürchtete, seine Verwirrung nur noch zu steigern.
    «Und die Kinder? Wer kümmert sich um ihre Erziehung? Der Vater? Die Mutter? Die alten Frauen? Bis zu welchem Alter? Gibt es Initiationsriten? Und welche?»
    Narcisse rührte sich nicht.
    Der Redner breitete mit fliegender Soutane die Arme weit aus und wandte sich an das Publikum – was normalerweise, wenn ich das richtig sehe, bei Sitzungen nicht üblich ist.
    «Was mich betrifft, so habe ich genug gehört. Oder besser, ich habe gar nichts gehört. Dieser junge Mann hier ist ein Schwachkopf, auf jeden Fall bekommt man nichts aus ihm heraus. Ich sehe nicht, was er zu unseren Erkenntnissen über Australien beitragen soll. Als ich mein Pfarramt in Québec versah, unterhielt ich mich jeden Abend mit alten Indianern, und zwar mithilfe eines Halbbluts, das dolmetschte. Ich schrieb das, was sie erzählten, nieder und konnte so von ihren außerordentlichen Traditionen erzählen. Monsieur le Vicomte macht etwas völlig Neues und bringt in die Wissenschaft der Geografie die seltsame Idee vom stummen Augenzeugen ein. Seine Eingangsrede war mitreißend, doch wenn ich mir die Quelle direkt betrachte, dann kann ich nur feststellen, dass sie versiegt ist, wenn sie denn jemals floss. Falls dieser Unglückliche sich nur dem Vicomte selbst anvertraut, oder falls dieser dessen Schweigen und Mimik mit Phantasie und Talent interpretiert, wozu hat man uns hier zusammenberufen? Es wird behauptet, dass es sich nicht um einen Schwindler handele. Er habe Schreckliches durchlitten, allein, er möchte uns nicht davon berichten. Ich werde ihn gerne in meine Gebete mit einschließen, doch weigere ich mich, ihn als nutzbringend für die Geografie zu betrachten, derentwegen wir hier versammelt sind.»
    Von vielen Rängen scholl Applaus, es herrschte allgemeine Aufregung, und jeder gab zu der Philippika seinen Kommentar ab. Sie erteilten mir das Wort, doch niemand hörte in diesem Tumult zu, nicht zuletzt, weil Révérend Père Leroy sich auf eine laute und erregte Diskussion mit mehreren seiner Sitznachbarn eingelassen hatte. Narcisse reagierte auf dieses allgemeine Durcheinander mit jenem schiefen Lächeln, das er immer aufsetzt, wenn er nicht sicher ist,richtig zu verstehen. Darf ich Ihnen etwas gestehen? Ich war zutiefst unglücklich.
    Sie riefen mehrmals zur Ordnung, und es gelang Ihnen, die Ruhe wiederherzustellen, dann baten Sie mich erneut, das Wort zu ergreifen. Auf diese Weise aufgefordert, geriet ich in die Defensive, wie ein Angeklagter, der sich vor einem Publikum, das sein Urteil bereits gefällt hat, verteidigen soll. Abermals beschrieb ich, unter welchen Umständen Narcisse Pelletier in die zivilisierte Welt zurückgekehrt ist, und seine Ausdrucksschwierigkeiten. Es galt, sich in diese Beschränkung zu fügen und ein offenes Ohr für jene Informationen zu haben, die er gewissermaßen unfreiwillig preisgab. Révérend Père Leroy erhob sich noch während meiner Rede und verließ den Saal. Mehrere andere Mitglieder taten es ihm gleich, ebenso ein Teil des Publikums. Meine Antwort wurde von Schritten und Stühlerücken übertönt, und ich brach sie ein wenig unvermittelt ab, denn sie war offensichtlich völlig überflüssig.
    Und dann hoben Sie die Sitzung auf.
    Ich will mich weder mit der durchlittenen Erniedrigung – das Wort ist hier nicht übertrieben – noch mit dem Vorwurf aufhalten, von keiner Seite unterstützt worden zu sein. Nach längerer Betrachtung möchte ich

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