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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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saß.
    Eine Stimme mit starkem englischen Akzent erhob sich aus der Reihe der korrespondierenden Mitglieder zu meiner Verteidigung. Jener Unbekannte hatte meiner Rede vor der Royal Society of Geographyam ersten August beigewohnt und bezeugte, obgleich sie weniger ausführlich gewesen war und der Matrose nicht anwesend, die strenge Wissenschaftlichkeit und das große Interesse, das sie hervorrief. Ich verbeugte mich, um ihm für diese unerwartete Hilfestellung zu danken. Révérend Père Leroy merkte daraufhin an, dass es einem korrespondierenden Mitglied nicht anstand, bei der Verbreitung seiner Erkenntnisse einer ausländischen Gelehrtengesellschaft den Vortritt zu gewähren, selbst wenn es sich um eine so herausragende wie jene in London handelte. Diese gehässige Bemerkung machte den Kredit zunichte, den mir der Gentleman aus dem hinteren Teil des Saals hatte verschaffen wollen, und erreichte, dass ein Teil des Publikums sich von mir abwandte. Ich verzichtete auf eine Auseinandersetzung.
    In Ihrer Rolle als Vorsitzender hätten Sie an dieser Stelle eingreifen können, denn Sie kannten die Bedingungen, unter denen ich Ihre Einladung angenommen hatte.
    Monsieur Collet-Hespas hatte allem Anschein nach ein ausgezeichnetes Mittagessen hinter sich. Zunächst rief er mir in Erinnerung, dass er mich vier Jahre zuvor zur Zukunft des Fischfangs in Island befragt hatte, und ich erinnerte mich daran. Er bat Sie um Erlaubnis, eine direkte Frage an «diesen netten jungen Mann» zu stellen. Wir hatten einen solchen Fall bedacht und waren übereingekommen, dass es unmöglich sei, ein derartiges Anliegen zu unterbinden, weil es den Verdacht nahegelegt hätte, dass wir etwas zu verbergen hatten, doch wollten Sie mich dann bitten, die Frage anders zu stellen. Ihnen war, denke ich, diese Vorsichtsmaßnahme entfallen, und Sie luden den ehrenhaften Reeder ein, sich an den Helden des Abenteuers persönlich zu wenden. Narcisse hatte sich bislang weder mir noch Ihnen, noch seinen Eltern in Saint-Gilles anvertraut. Wie war anzunehmen, dass er es diesem Mann gegenüber tun würde, den er zum ersten Mal in seinem Leben sah, und noch dazu vor einer neugierigen, unruhigen Menschenmenge?
    «Mein Guter, sag doch mal, dürfen Wilde mehrere Frauen haben?»
    «Ja …, genau wie hier.»
    Die Reaktion auf diese Antwort war allgemeiner, von Empörung und Erheiterung durchsetzter Aufruhr. Als ich später mit ihm darüber sprach, begriff ich das Missverständnis. Narcisse erläuterte mir, dass er mehrere Frauen gehabt habe, und zählte dabei an den Fingern ab: die englische Lady auf der Strathmore; das Zimmermädchen; die Deutsche im Savoy-Hotel und eine neue Mätresse in Paris, und zwar drei Tage zuvor; von Letzterer erfuhr ich erst in jenem Augenblick. Er war nicht auf die Debatte um Polygamie eingegangen, doch war das Publikum der Meinung, dass er der Frage durch unmoralische Geistesgegenwart ausgewichen war – er, der weder von Geistesblitzen noch von Moral etwas versteht.
    Ich ließ Ihnen ein Briefchen zukommen, indem ich eine Pause vorschlug, das heißt ein Unterbrechen der Sitzung. Doch vergebens. Révérend Père Leroy bat um das Wort:
    «Mein Guter, erzähl uns doch, was du dort unten gegessen hast.»
    «Fisch … Fleisch … Muscheln …»
    «Ausgezeichnet. Sehr interessant. Und sag mal, welche Religion haben die Wilden?»
    Das Thema Theologie beunruhigte mich, aber ich wagte nicht, von der Predigt in Saint-Gilles zu erzählen – dazu hätte es zu vieler Erläuterungen bedurft –, und so stotterte ich, die Frage sei zu abstrakt. Und in der Tat beantwortete Narcisse sie nicht.
    «Ich werde es einfacher machen. Pflegen sie Ahnenkult? Oder beten sie Geister an? Oder Götter der Jagd? Des Regens? Der Gesundheit? Der Sonne?»
    Das Wort «Kult» hat für Narcisse ebenso wenig Bedeutung wie «Religion». Und so war ich sehr überrascht, als er langsam wiederholte:
    «Sonne …»
    Es kommt vor, dass er das letzte Wort des Gesprächspartners wie ein Echo wiederholt, als Ausdruck von Höflichkeit, und um die Rede des anderen nicht ohne Antwort zu lassen. Doch jetzt wiederholte er mehrmals «Sonne», und zwar mit einer Eindringlichkeit, die ich nicht an ihm kannte und als wäre er während der ganzen Sitzung zuvor geistesabwesend gewesen, dann stand er auf.
    Der Oratorianer war über diese Reaktion ebenfalls überrascht und schien, in der ersten Reihe sitzend, zu fürchten, dass Narcisse die Hand gegen ihn erheben würde. Ich hatte indes zur Genüge

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