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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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lediglich unterstreichen, dass die Haltung von Révérend Père Leroy – welche Gründe sie auch immer haben mag – meiner Meinung nach jeder Wissenschaftlichkeit entbehrt. Und das ist ausreichend, um sie als irrelevant abzutun.
    Die wenigen Äußerungen von Narcisse sind schwer zu interpretieren? Er zeigt sich nicht so gesprächig wie die alten Indianer in Québec? Und deshalb sollen wir aufgeben?
    Beispielsweise unser berühmter Landsmann Champollion, würde man seinen Namen kennen, wenn er mithilfe eines alten Ägypters die Hieroglyphen zu lesen und schreiben gelernt hätte? Die Herausforderung durch ein Rätsel, dessen Entschlüsselung keinem vor ihmgelang, begründet seinen Ruhm. Narcisse ist mein Stein von Rosette. Dass Révérend Père Leroy sich nicht die Mühe macht, seine Inschrift zu entziffern, beweist schlicht gar nichts. Ich tue es, langsam und mühsam, und ich bin stolz darauf.
    Es erschien mir notwendig, Ihnen zu schildern, wie ich den gestrigen Tag erlebt habe. Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich dem Präsidenten des Redaktionskomitees von unserer Zeitschrift eine Abschrift dieses Briefes zukommen lasse, um die Redaktion des Protokolls, das in der nächsten Nummer erscheinen müsste, zu erleichtern.
    Mit ungetrübter
    Hochachtung …

9
    Die Frauen zerteilten die Fische mit ganz bestimmten Muschelschalen, die rund, bläulich und gewölbt waren. Am schärfsten waren sie an den Stellen kurz vor dem Schlossband. Diese wurden auch dazu benutzt, die Kinder zu scheren, deren Köpfe man dazu vorher mit einer Mischung aus lehmiger Erde und Sand einrieb.
    Um einen Ast abzuschneiden, bedienten sich die Frauen einer anderen Art von Muschelschale, weiß, länglich wie ein Finger und vorne mit einer Kante. Sie nahmen sie fest in ihre Fäuste und trennten mit heftigem Gehacke von oben und unten selbst den dicksten Ast ab – und wenn ihr Werkzeug dabei zerbrach, dann nahmen sie sich umgehend ein neues.
    Bei einer Verletzung oder einem Schnitt fuhren sie mit einer winzigen weißen Muschelschale, nicht größer als ein Jackenknopf, über die Haut und brachten einen kleinen Schnitt an, der es erlaubte, die Wunde zu reinigen und zu versorgen.
    Er beobachtete die Frauen und versuchte, sie zu begreifen. Am Anfang wollte er sich nur den Bart rasieren, der immer länger und dichter wurde und anfing zu jucken. An Bord hatte er sich ungefähr einmal die Woche rasiert, und er war es nicht gewöhnt, dass seine Wangen bedeckt waren. Nachdem er den Frauen aufmerksam zugeschaut hatte, begriff er, welche Art von Muschel er hernehmen undwie er sie handhaben musste. Nachdem er einige Versuche auf seinen Unterarmen gemacht hatte, die er, ohne zu zögern, abschabte, entdeckte er, wie er eine Rasierpaste von der gewünschten Konsistenz herstellen und seinen provisorischen Rasierer einsetzen konnte, ohne zu viel Schaden anzurichten. Niemand beachtete ihn und seine Versuche. Als er die seiner Meinung nach richtige Technik beherrschte, rieb er sich das Gesicht mit feuchter Erde ein und schabte sich lange und gründlich Wangen und Kinn mit der Muschelschale. An seinen Händen klebte ein wenig Blut, aber er hatte sich, fand er, nicht schlimmer geschnitten als mit einem stumpfen Rasiermesser. Ein Sprung ins Meer reinigte und desinfizierte seine Schnittwunden.
    Dieser erste Erfolg war vielversprechend.
    Er besaß wieder die Fähigkeit zu schneiden. Das ersetzte natürlich nicht sein Messer, das man irgendwo in den Busch geworfen hatte und das ihm mehr fehlte als seine Kleider. Sein Vater hatte es ihm nach seiner zweiten Schiffsreise als Matrose geschenkt, zum Zeichen, dass er nunmehr erwachsen war. Das durch ein Lederetui geschützte und am Gürtel befestigte Messer trug er fortan stets bei sich, ob auf Land oder zu See, ob bei der Arbeit, oder wenn er sich ausruhte.
    Wenn er tatsächlich bald wieder in der Lage wäre zu schneiden, könnte er Äste sammeln, sie zurechtstutzen, mithilfe von Stricken oder Bolzen zusammenhalten, einen Schiffszimmermann aus sich machen und ein einfaches Boot bauen. Irgendein Fett, um es wasserdicht zu machen, ein solides Holzstück als Steuer und ein schwerer Stein mit einem Strick als Anker: Damit könnte er die gefährliche Fahrt an der Küste entlang vielleicht wagen. Es blieben immer noch viele Fragen offen, und wahrscheinlich warteten viele missliche Überraschungen auf ihn, aber er hatte das Gefühl, dass er vorankam.
    Es war nutzlos, den Wilden schmollend aus dem Weg zu gehen: Er musste sie

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