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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Président,
    ich danke Ihnen für Ihre Antwort vom 10. September. Sie haben mir darin freundlicherweise die unterschiedlichen und widersprüchlichenAnliegen dargelegt, die Ihrem Vorsitz der Vollversammlung zugrunde lagen, und ich begreife diese selbstverständlich. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie sich die Zeit genommen haben, etwas anzusprechen, das sich für unser Verhältnis als schwierig hätte erweisen können. Die Lebhaftigkeit meiner Gefühle an jenem Nachmittag, meine Besorgtheit um den Schutz von Narcisse Pelletier, haben ebenso wie mein junges Alter, auf das Sie anspielen, meine Wahrnehmungen von der Tribüne aus vernebelt, zumal gerade jene merkwürdigen Tage in Saint-Gilles hinter uns lagen. Dem Brief, den ich Ihnen spontan schrieb, mangelte es an gebührendem Abstand. Die darauffolgende Audienz bei Ihrer Majestät war ein weiteres wichtiges Ereignis. Um die nötige Gelassenheit wiederzufinden, musste ich Paris hinter mir lassen.
    Wie Sie dem Schweigen vor diesem Brief entnehmen können, habe ich mir Zeit zum Nachdenken genommen, und zwar in der Ruhe des Schlosses von Vallombrun. Wir wurden von meiner Schwester Charlotte erwartet, die ich seit vier Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sie hatte das Wichtigste an diesem Abenteuer von mir erfahren, und sie war neugierig darauf, seinen Helden kennenzulernen.
    Wir haben ihm einen der Räume für die Gäste zugewiesen, und er nimmt an unseren Mahlzeiten teil. Für alle im Schloss ist er ein Gast wie jeder andere. Während der ersten Tage schien er sich an den Bäumen in ihren Herbstfarben, den Wiesen und Hecken, den Spaziergängen, dem Dorfbrunnen und den Bächen zu erfreuen. Von einigen Hügelkämmen in der Nähe des Schlosses aus kann man die eingeschneiten Alpen sehen. Ich war überrascht darüber, dass die Grenze des Königreichs Sardinien-Piemont, die bis vor meiner Abreise vor den Bergen verlief, auf die höchsten Gipfel zurückgedrängt worden ist und die Täler der Isère und der Arve nunmehr vollständig zum Kaiserreich gehören.
    Als ich zwanzig Jahre alt war, wanderte ich gerne, doch habe ichjetzt, vor allem nach derart langer Abwesenheit, nicht mehr die Zeit, Narcisse jeden Tag zu begleiten. Sein Orientierungssinn, den er im Busch um Sydney und in der Folge in den Straßen von Paris bewiesen hat, gab mir die Gewissheit, dass er sich nicht verlaufen würde: Ich ermunterte ihn, die Landschaft auf eigene Faust zu erkunden.
    Er brach frühmorgens auf, kehrte abends wieder, ohne Kopfbedeckung, die Jacke zerrissen und die Hosen mit Schlamm beschmutzt. Im ersten Augenblick befürchtete ich, dass er in eine Auseinandersetzung geraten sei, aber nein. Zwei Meilen von hier entfernt waren Bauern dabei, einen Pferdekarren voller Brennholz für den Winter zu entladen. Ohne zu überlegen oder ein Wort zu verlieren, legte er mit Hand an, wie man hier so sagt. Anfangs waren sie überrascht, den hochgewachsenen und gut gekleideten jungen Mann beim Aufstapeln des Holzes mit anpacken zu sehen, doch dann kam seinen neuen Freunden dieser Glücksfall sehr gelegen. Wahrscheinlich spotteten sie zuerst ein wenig darüber, dass es ihm so gleichgültig war, wie seine neuen Kleider bald aussahen. Sie teilten ihr Brot mit ihm, den Käse und die Würste, und räumten alles Holz für den Winter an seinen Platz. Dann kehrte Narcisse auf das Schloss zurück.
    An den folgenden Tagen endeten seine Spaziergänge damit, dass er beim Abtrieb von einer Schafherde mithalf, einen Stall ausmistete, an einer Baustelle schubkarrenweise Erde transportierte und einen Graben freischaufelte. Er geht einfach aufs Geratewohl los. Wenn er an Menschen vorbeikommt, die arbeiten, kann er, wie auch an Bord der Strathmore, nicht anders, als mitanzupacken.
    Ich besorgte ihm Kleidung, die für diese eigenartige Freizeitbeschäftigung besser geeignet ist. Doch im Dorfe tuscheln die Leute über dieses Benehmen, das sie nicht mehr belustigt und an dem sie mitunter Anstoß nehmen. Eine derart einzigartige Großzügigkeit macht sie im ersten Augenblick misstrauisch. Meine Leute verstehen nicht mehr, ob sie ihm wie einem Gast begegnen oder ihn wie einen Tagelöhner behandeln sollen – denn er lässt den Kutschernicht mehr allein das Heu aus der Scheune oder die Köchin eine Kiste mit Äpfeln tragen. Auch wenn meine Schwester mir gegenüber nichts sagt, so bemerke ich doch, wie überrascht sie darüber ist, tagtäglich einen stummen Gast bei Tische zu haben. Was mich angeht, so habe ich während der vergangenen

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