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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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stellte und so etwas wie Interesse an dem bekundete, was mit ihm geschah. Auch wollte er den Ring betrachten, doch durch die winzigen Fenster drang nur Herbstlicht, in dem weder das Gold noch die Steine funkelten. Er verlor das Interesse.
    Soll ich Ihnen wirklich sagen, welchen Kommentar er zu diesem denkwürdigen Tag abgab? Unter dem Siegel der Verschwiegenheit und der Wissenschaft will ich Ihnen seine Worte anvertrauen:
    «Die Kaiserin ist eine schöne Frau. Schöner als die Prinzessin Pauline.»
    Hochachtungsvoll …

10
    Während er die Tage nackt am Strand verbrachte, hatte Narcisse sich notdürftig vor der Sonne geschützt und war so viel wie möglich im Schatten geblieben.
    Doch an diesem Morgen schälte sich die Haut. Sie war erst braun geworden, hatte dann Blasen geworfen, und jetzt löste sie sich in Fetzen ab. Vor allem die Schultern, der Rücken, der Hintern und die Oberschenkel, die immer von Kleidung bedeckt gewesen waren, machten ihm zu schaffen. Und die rosige neue Hautschicht, die darunter erschien, war noch empfindlicher und vertrug weder Sonne noch Sand noch Wind noch Meersalz.
    Sein ganzer Körper schmerzte. In allen Häfen boten Chinesen den Seefahrern Fläschchen mit einer Arznei gegen Sonnenbrand an, doch was konnte er hier finden, um seine Haut zu beruhigen? Er kannte keine der hiesigen Pflanzen und konnte es nicht riskieren, wahllos ihren Saft oder zerriebene Blätter auf seine Verbrennungen zu geben. Er versuchte es mit der leicht fetthaltigen Innenhaut eines Fisches, nachdem er gekocht worden war, doch ohne große Linderung.
    Die Alte hatte seinen Zustand bemerkt, doch sie kam ihm nicht zu Hilfe. Voller Ekel beobachtete er, wie sie einen toten Hautfetzen vom Boden aufhob, ihn kaute, hinunterschluckte und dann wieder ausspuckte. Dachte sie, er würde sich wie eine Schlange häuten?
    Im Wechsel der Jahreszeiten häuten sich die Schlangen, die Hasen verändern ihre Farbe, und die Vögel erneuern ihr Gefieder. Musste auch er sich erneuern? Welche Häutungen schlummerten in ihm? Was war er nicht mehr, und was würde er sein? Die Raupe beschließt nicht, zum Schmetterling zu werden. Blieb ihm eine Wahl?
    Am späten Vormittag trat ein Wilder aus dem Busch. Sobald sie ihn erblickten, hörten die Frauen auf, mit ihren Kindern zu spielen, oder kamen aus dem Meer oder wachten auf, und alle liefen sie zusammen und bildeten einen Kreis um ihn, berührten ihn, wollten ihm nah sein, mit ihm sprechen, ihm kleine Liedchen singen. Er ging langsam auf einen einzelnen Baum zu und setzte sich an dessen Stamm nieder. Die Frauen brachten ihm Wasser, Fische, kleine Zweige, Muscheln und entzündeten in unmittelbarer Nähe ein Feuer.
    Narcisse trat näher. Der Wilde erschien ihm unglaublich alt. Sein Kraushaar war weiß wie Schnee, während der Häuptling des Stamms, den er bei sich Chef getauft hatte, noch schwarzes oder wenigstens grauschwarzes Haar hatte. Sein Gesicht war von tiefen Falten durchzogen, die seine Augen in den Höhlen verschwinden ließen. Das Alter hatte seine Arm- und Beinmuskeln erschlaffen lassen, und von den Knochen hing überschüssige Haut herab wie ein zu weites Gewand. Die Tätowierungen und Hautritzungen waren unlesbar geworden, sie verloren sich in den Falten dieser ergrauten, wie toten Haut. An der rechten Hand fehlte ihm der kleine Finger, wie bei dem Zimmermann der Saint-Paul, und er hatte nur noch ein paar wackelige Zähne. Während die anderen Männer vollkommen nackt waren, trug er einen dünnen Gürtel aus einer geflochtenen Liane um die Lenden, von dem eine Rosette herabhing.
    Wer war dieser Greis?
    Beim Anblick der eifrigen Frauen, die ihm nicht nur gehorchen, sondern seine Launen vorauseilend befriedigen wollten und stolzdarauf waren, in seiner Nähe zu sein, kam ihm unwillkürlich der Gedanke an die bigotten Weiber in der Kirche, die ein Besuch von einem Abgesandten des Bischofs in Ohnmacht versetzt. Ihm fiel auf, dass die Kinder, selbst größere wie Waiakh, weiterspielten und ihm keinerlei Beachtung schenkten. Er tat es ihnen in ihrer Gleichgültigkeit nach.
    Nachmittags kam die Alte zu ihm und bedeutete ihm, ihr zu folgen. Sie führte ihn zu dem Greis, der immer noch im Halbschlaf ausgestreckt dalag. Narcisse blieb aufrecht stehen und freute sich beim Anblick dieser mickrigen Gestalt an seiner Größe und seinen Muskeln. Die Alte sagte etwas in ihrem Singsang, und er glaubte, das Wort «Amglo» herauszuhören. Verlangte es örtliche Etikette, dass man ihn dieser wichtigen

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