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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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der Auflösung dieses rätselhaften Falls. Alles hängt letztlich von deiner Aussage ab, junger Mann.»
    Ich wurde daraufhin von der Untersuchungskommission befragt, unter welchen Umständen Matrose Pelletier aufgefunden worden sei. Ich wiederholte meine Schilderung der Ereignisse, wie sie sich im Februar und März in Australien zugetragen hatten. Einer der Offiziere stellte mir eine Frage, die mir nicht im Traum eingefallen wäre:
    «Die Bucht, in der dieses britische Schiff, die John Bell, den Matrosen angetroffen hat, ist kein unbekanntes Land. Sie ist kartografiert, und sie ist als Ankerplatz im Seehandbuch verzeichnet: Auch wenn man sie bei Ostwind oder starken Gezeiten besser meiden sollte, ist sie in dieser Gegend die einzige Anlaufstelle. Mit anderen Worten, diese Bucht wird regelmäßig angelaufen. Wie kommt es, dass kein einziges Schiff in achtzehn Jahren irgendetwas bemerkt hat? Oder anders: Halten Sie es für möglich, dass der Matrose sich erst so viele Jahre später zeigen wollte?»
    Ich wandte mich Narcisse zu, der, wie ich ahnte, stumm blieb. Ich musste eine Antwort improvisieren.
    «Nach allem, was ich verstanden habe, wandern die Wilden, die den Matrosen Pelletier aufgenommen haben, je nach Jahreszeiten zwischen dem Meeresufer und dem Landesinneren hin und her. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob sie den Kontakt zu Weißen suchen oder meiden. Wir wollen aber nicht vergessen, dass er sich nicht wirklich frei bewegen konnte. Er war nicht festgebunden, aber blieb ihm etwas anderes übrig, als ihnen zu folgen? Als die Schaluppe am Strand anlegte, angelten einige Wilde und Pelletier weiter zwischen den Felsen. Weder sind sie geflohen, noch haben sie versucht, sich zu verstecken. Er unterschied sich nicht von ihnen. Erst als sich die Engländer der Gruppe näherten, fiel ihnen auf, dass einer größer war als die anderen. Und, obgleich sonnenverbrannt, offensichtlich der weißen Rasse angehörte. Er sprach die Sprache der Wilden. Die Matrosen haben ihn mit Gesten aufgefordert, in die Schaluppe zu steigen, sie haben ihn nicht dazu gezwungen. Als die John Bell dann Segel setzte, war er vollkommen niedergeschlagen.»
    «Und warum erzählt er uns das nicht selbst?», fragte der Admiral.
    Narcisse betrachtete die Offiziere in ihren Uniformen völlig gelassen, als ob ihn das alles nicht wirklich anginge. Ich wartete darauf, dass er antworten würde, aber er sagte nichts. Ich breitete die Arme aus, sie mochten sich nun selbst von dieser seiner Reaktion überzeugen.
    «Ich weiß es nicht. Er hat sich stets geweigert, beziehungsweise hat er sich aller Antworten auf meine Fragen, was sich dort unten ereignet habe, enthalten. Ich habe ihn selbstverständlich zu den Umständen seiner Ankunft in der Bucht befragt. Er äußert sich weder dazu noch zu irgendetwas anderem. Ich komme nicht weiter. Nur Ihrer Kaiserlichen Majestät hat er einiges anvertraut.»
    Diese Äußerung sollte weitere Kritik an seinem Schweigen denWind aus den Segeln nehmen, und sie war in dieser Hinsicht hilfreich. Der Admiral hub wieder an:
    «War die Existenz eines weißen Wilden für die Briten eine Überraschung?»
    «Ja, vollkommen. Weder in Tavernen noch unter Deck war jemals die Rede von einem solchen Fall.»
    «Im Pazifik haben aber schon andere Leute vor ihm die Beine in die Hand genommen», wandte der Admiral ein.
    «Das stimmt, nach einem Schiffbruch oder einer Desertion. Die Société de Géographie hat auf meine Bitte hin alle bekannten Fälle zusammengetragen. Niemand hat jemals achtzehn Jahre lang in absoluter Einsamkeit verbracht. Niemand, um es noch deutlicher zu sagen, hat jemals die Lebensweise und Sprache der Wilden vollständig angenommen. Dieser Fall eines jungen Weißen, der ganz und gar zum Wilden wurde und seine Herkunft vollkommen hinter sich ließ, ist einmalig.»
    Ich hielt es nicht für sinnvoll, vor der Untersuchungskommission eine etwas wissenschaftlichere Überlegung anzufügen, die mir währenddessen durch den Kopf gegangen war. Es sind umgekehrt Fälle von Wilden bekannt, die nach Europa gebracht wurden und sich unseren Lebensgewohnheiten angepasst haben. Aoutourou, der Bougainville von Tahiti bis an den Hof Ludwigs XV. folgte, war der Bekannteste unter ihnen, wenn auch nicht der Erste. Die Wilden kamen aus den Weiten Amerikas, dem hintersten Afrika, von pazifischen Inseln, freiwillig oder gezwungenermaßen, und lebten sich in Paris oder London ein. Noch erstaunlicher ist, dass es Missionaren gelingt, sie an den Orten

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