Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
ihn noch unverständlicher als Zukunftsprognosen. Sein Schweigen wurde als vornehme Zurückhaltung aufgefasst.
«Capitaine», befahl I.M., «ich möchte, dass Sie in der Verwaltung für diesen Unglücklichen eine Anstellung finden. Überlegen Sie zusammen mit dem Vicomte, was für ihn infrage käme. Ich wünsche, dass die Jahre des Umherirrens und des Unglücks für ihn ab heute ein Ende haben.»
Sie erhob sich, die Audienz war beendet. Ihre letzten Worte waren an mich gerichtet:
«Ich möchte Ihr Verhalten ausdrücklich loben. Sie haben diesen Unglücklichen, ohne dass Sie dazu verpflichtet gewesen wären, zu sich genommen. Sie haben sich um ihn gekümmert und sich seiner angenommen, als wäre er Ihr Bruder. Sie haben ihn in seine Heimat zurückgebracht. Sie kümmern sich nicht um die Gerüchte in der Stadt und um Ehrerweisungen, und Sie erwarten keinerlei Entlohnung für Ihre Großzügigkeit. Ich weiß nicht, ob die Franzosen Ihre Haltung begreifen werden, und ich habe den Eindruck, dies ficht Sie nicht an. Ihre Kaiserin – auch wenn sie, wieder einmal, die Einzige sein sollte – lobt Ihre Seelengröße.»
Ich war von den Worten meiner Kaiserin ebenso überrascht wie bewegt. Ich verbeugte mich tief und zog es anstelle einer lauen Erwiderung vor, zu schweigen.
«Nehmen Sie diesen Ring von mir, als Erinnerung. Die Farbe seines Steins wird Sie an den Ozean erinnern.»
Ich nahm den Goldring, den sie von ihrem Mittelfinger gezogen hatte, aus ihrer Hand. Er war mit einem Saphir und Diamanten besetzt. Der Augenblick hatte eine seltsame Feierlichkeit, und sowohl I.M. als auch die Prinzessin schienen ernst und bedrückt. Narcisse beobachtete einen Vogelschwarm auf seinem Flug in den Süden. Wind ließ die Äste einer Ulme erzittern.
Der Husar kam auf mich zu, was bedeutete, dass es Zeit war, aufzubrechen. I.M. hatte sich abgewandt, und Prinzessin Pauline verkündete mit charmantem Lachen, dass sie sich jetzt am Klavier versuchen werde.
Auf unserem Rückweg zum Pavillon erklang unter den Bäumen eine Polka. Bevor wir uns auf die andere Seite der Hecke begaben, wandte Narcisse sich um, um einen letzten Blick auf I.M. zu werfen. Diese stand da und verfolgte mit leicht nach hinten gewandtem Kopf, wie er sich entfernte.
Bevor er uns in die Kutsche einsteigen ließ, nahm der Husarenkapitän mich beiseite:
«Wie können wir dem Wunsch von I.M. entsprechen, Monsieur le Vicomte? Welche Beschäftigung könnte dieser junge Mann ausüben?»
«Ich weiß es nicht!»
«Doch sehen Sie ihn nicht im Conseil d’Etat?»
«Dort würde er nicht glücklich.»
Der Offizier musterte mich, weil er fand, dass sein Einfall sehr brüsk beantwortet worden war. Aber ich war lediglich ehrlich gewesen und hatte nur an Narcisse gedacht. Außerdem hätte ich noch einbringen können, dass er des Lesens nicht mächtig war. Ich musste weiter ausholen:
«Er ist immer noch sehr wenig vertraut mit … Dokumenten und dem Lesen. In Gegenwart von vielen Menschen fühlt er sich nicht wohl, auch nicht, wenn er reden oder auch nur zuhören soll. Praktische Arbeiten und frische Luft hingegen tun ihm gut. Ich sehe ihn weder in Paris noch in einer anderen großen Stadt.»
«Ist er in der Lage zu gehorchen?»
«Nicht wie ein Soldat vielleicht. Aber er ist gutmütig, voll guten Willens und tut, was man ihm sagt.»
«Also eine Beschäftigung beim Wasser- oder Forstministerium?»
«Er hat sein Leben lang auf See verbracht oder an dessen Ufern. Wenn Sie etwas für ihn finden könnten, was ihn dorthin zurückbringt?»
«I.M. hat Ihnen ihren Ring geschenkt, und so sind Ihre Wünsche mir Befehl», beendete der Offizier mit einer heftigen Kopfbewegungund in unverschämtem Tonfall, welcher in Kontrast zur Absicht seiner Worte und ihrem Inhalt stand, unsere Unterredung.
Narcisse bewunderte, während über seine Zukunft verhandelt wurde, die rotbraunen Pferde aus dem kaiserlichen Stall. Ich fragte mich, aufgrund welcher unergründlichen Alchemie I.M. ihm einige wertvolle, niemals zuvor geäußerte Informationen entlockt hatte, gleichsam ohne nachzudenken und vermutlich, ohne sich darüber klar zu sein. Ha, wenn die Zweifler, die bei der Sitzung unserer Société anwesend waren, dieser Unterhaltung hätten beiwohnen können, sie wären sich ziemlich dumm vorgekommen …
Auf dem Weg zum Bahnhof fragte mich Narcisse:
«Werden wir die Kaiserin wiedersehen?»
«Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht.»
Es war das erste Mal, dass er das Futur verwendete, eine Frage
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