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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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etwa nicht beleidigt?
    Ich könnte auf diese Weise noch Seiten füllen und damit Ihre Geduld auf die Probe stellen. Doch anstatt in diesem Nörgelton fortzufahren, möchte ich Ihnen einige Neuigkeiten von der Insel Ré erzählen, die ich vor zwei Monaten besuchte.
    Der neu ernannte Lagerverwalter begrüßte mich, als hätten wir uns gerade erst am Vortag verabschiedet, mit jenem Lächeln und Gleichmut, die ihn niemals verlassen – ist es Ausdruck tiefer Weisheit oder Heuchelei? Er scheint mit seinen Kameraden in schönstem Einvernehmen zu leben. Sie sind über sein freundliches Wesen erfreut und wälzen eine ganze Menge an einfachen Tätigkeiten auf ihn ab, vielleicht ein wenig zu viele. Doch Narcisse sträubt sich nicht dagegen, und alle sind zufrieden.
    Er legt ein unvermutetes Talent für das Wattfischen – mit einer kleinen selbst gefertigten Harpune – an den Tag. Sobald er freie Zeit hat, geht er bei Ebbe, gleich, bei welchem Wetter, barfuß los, stöbert in Wasserlöchern und kehrt nie ohne Beute zurück. Der Leuchtturmleiter war beunruhigt, als er ihn bei anbrechender Nacht und schlechtem Wetter so losziehen sah. Narcisse begriff seine Warnungen nicht, und mittlerweile hat man sich daran gewöhnt, ihn mitten in der Nacht und nass bis auf die Knochen mit seinem Fang zurückkehren zu sehen. Er ist auch sehr geschickt darin, eine Vielzahl verschiedener Muscheln zu sammeln. Seine Kameraden, die auch gerne Fleisch essen, sind ihrer mittlerweile überdrüssig geworden. Wenn sie seine Ernte ablehnen, trägt er seinen Korb ins Dorf, und jeder darf sich bedienen.
    Zu meiner großen Überraschung entdecke ich immer wieder Geheimnisse, die in Australien ihren Ursprung haben.
    So haben mich seine Kameraden vom Leuchtturm auf seine «Katzenaugen» aufmerksam gemacht. Ich hatte bislang keine Gelegenheit, sie an ihm festzustellen, denn abends spenden Gaslampenoder Kerzen Licht. Narcisse bewegt sich in den dunkelsten Winkeln oder auf unbeleuchteten Fluren wie am helllichten Tag. Nur bei tiefstem Dunkel, wenn wirklich kein Lichtstrahl fällt, nicht einmal indirektes Licht, wird er zögerlich und stößt sich an Möbeln. Diese Fähigkeit, sich bei Dunkelheit zu bewegen, muss er in Australien entwickelt haben, bei Lagern unter dem Sternenhimmel oder nächtlichem Wachen und Jagen.
    Erlauben Sie mir, Ihnen ein weiteres Beispiel zu geben. Ich begleitete Narcisse zum Strand, wo er fischen wollte. Er hatte seine Harpune dabei, diesen Spieß, mit dem er Wunder vollbringt. Ich fragte ihn nicht, wie er ihn angefertigt hatte, denn auf diese theoretische Frage würde ich, das wusste ich, keine Antwort erhalten. So sagte ich einfach:
    «Ich würde auch gerne fischen, Narcisse. Machst du mir auch eine?»
    Ohne ein weiteres Wort machte er sich sofort an die Arbeit. Nachdem er am Rand des Strands einen knorrigen Busch aus festem Holz ausfindig gemacht hatte, brach er einen Ast ab und entfernte die Zweige. Der Stecken hatte ungefähr die Form eines Jagdinstruments angenommen. Dann wählte er sorgfältig einen Stein aus – für mein ungeübtes Auge sahen sie alle gleich aus – und benutzte diesen, um den Ast in Form zu schneiden und die Gabelenden zu spitzen: nicht wie mit einem guten Messer, sondern mit einer ausholenden raschen Bewegung des ganzen Arms, der das Holz geradezu streichelte und gleichsam auf genau die richtige Dicke zuschnitt. Es war eine geduldige Arbeit von perfekter Effizienz. Keine Bewegung verfehlte ihr Ziel oder führte zu fehlerhaftem Ergebnis, und am Ende war der Stock genauso gerundet, als wäre er an einer Drehbank gedrechselt und mit Sandpapier poliert worden. Ich bestaunte sein Werk, es erfüllte mich mit großer Bewunderung, aber es kommt noch besser.
    Er warf einen Blick umher und sammelte aus einer Felsmuldetrockenes Blattwerk und Flechten, häufte alles sorgfältig zwischen drei Steinen auf und nahm zwei trockene Stücke aus festem Holz. Er rieb sie so lange aneinander, bis es ihm gelungen war, sie zum Glimmen zu bringen, worauf er sie unter die Flechten legte. Eine kleine Flamme loderte auf, dann eine andere, in seiner Feuerstelle bildete sich Glut, er blies sie leicht an, warf einige Zweige darauf, und bald hatten wir ein schönes Feuer. Er nahm den Spieß zur Hand und hielt bedächtig dessen Spitzen in die Flamme, um sie zu härten. Sobald sie rot glühend wurden und fast zu brennen anfingen, tauchte er sie in Meerwasser. So wechselte er einige Male zwischen Heiß und Kalt. Dann hielt er mir die Harpune

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