Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
ohne besonderen Stolz hin, als würde es sich um etwas Gewöhnliches und Selbstverständliches handeln. Mir blieb der Mund offen vor Staunen. Ich ging mit ihm fischen, ohne auch nur einen einzigen Fisch aufzuspießen – während er seinen Korb füllte.
Die Erfindungsgabe, die er an den Tag legte, erscheint mir einzigartig, und um Sie davon zu überzeugen, schlage ich Ihnen vor, sich vorzustellen, wie man an einem Winterabend irgendein Mitglied unserer Gelehrtengesellschaft an einem Strand der Insel Ré aussetzt und wie es ihm gelingt, in weniger als einer Stunde eine Harpune zu schnitzen, ein Feuer zu entfachen und einen Fisch zu fangen.
Narcisse setzt nur das Wissen ein, das er bei den Wilden erworben hat, werden Sie mir sagen. Unbestreitbar. Mithin besitzen die Wilden Wissen? Worin besteht es? Und aus welch anderen Schätzen setzt es sich noch zusammen?
An jenem Abend ist mir ein weiterer Gedanke gekommen. In dem Wirtssaal der einzigen Herberge weit und breit, wo ich abgestiegen war, wartete ich vor dem Feuer, bis es Zeit für das Abendessen wurde. An einem Nachbartisch tranken vier Dorfbewohner ein Glas Wein miteinander und unterhielten sich über dies und das. Ein Satz in ihrem lockeren Geplauder ließ mich aufhorchen.
«… vorgestern Abend bin ich in der Dunkelheit nach Hause gekommen und habe auf dem Strand de la Conche diesen Verrückten vom Leuchtturm gesehen, und er fischte immer noch!»
Den Verrückten vom Leuchtturm, so nannten sie also den neuen Mitarbeiter des Phare des Baleines. Im Übrigen war dies ohne Böswilligkeit dahingesprochen worden, und ich habe selbst zu viele Erfahrungen mit seiner Eigenwilligkeit gemacht, um daran Anstoß zu nehmen. Dieser Spitzname ist weniger verletzend als gewisse gedruckte Worte, da werden Sie mir sicher zustimmen.
Und was ist, wenn diese guten Leute recht haben sollten? Ist Narcisse verrückt? Es ist bekannt, dass übermäßiges Unglück und Leid selbst äußerst gefestigte Seelen in den Wahnsinn treiben kann. Der Matrose Pelletier hat zweifellos furchtbare Momente durchlebt, über die er niemals spricht. Er hat über achtzehn Jahre seines Lebens, vielleicht unwissentlich, einen undurchdringlichen Schleier geworfen. Ist das ein Anzeichen für Wahnsinn oder eine seiner Ausprägungen?
Diese Überlegung bestürzte mich mehr, als ich zum Ausdruck bringen kann. Als Wahnsinniger brauchte Narcisse einen Arzt, und meine Fürsorge brachte ihn um die in seinem Zustand erforderliche Betreuung. Als Wahnsinniger war er für die Wissenschaft nicht mehr von Nutzen, und Sie und ich verloren unsere Zeit mit ihm.
Etwas in mir widersetzte sich diesem Urteil. Doch um klar unterscheiden zu können, musste man wissen, was Wahnsinn eigentlich ist, und davon hatte ich keine Ahnung.
Sobald ich wieder auf dem Festland war, erkundigte ich mich und konnte einige Anstalten besuchen. Der Himmel möge Ihnen, Monsieur le Président, den Anblick derartiger Höllenqualen ersparen. Meine Feder versagt mir den Dienst bei dem Versuch, das, was ich sah, zu schildern – und die Methoden, mit denen die Wahnsinnigen ohne Aussicht auf Heilung behandelt werden. Ich führte längere Gespräche mit mehreren bemerkenswerten Irrenärzten.
Ich maße es mir nicht an, Ihnen eine allgemeine Definition von Wahnsinn zu geben. Von allem, was ich gesehen und verstanden habe, und aufgrund meiner Unterredungen mit den besten Spezialisten, weiß ich nur, dass Narcisse nicht wahnsinnig ist. Er leidet nicht und fügt anderen kein Leid zu; er verweigert sich nicht der Welt, in der er lebt; er weiß, wer er ist. Sein Schweigen zu den Jahren in Australien könnte Ausdruck einer tiefen und unbeschreiblichen Sehnsucht sein, oder eine Folge unsäglichen Leids oder – ich wage es, Ihnen gegenüber einen recht verwegenen Gedanken zu äußern – sowohl das eine als auch das andere. Oder um die Theorie von einem jener prominenten Wissenschaftler auf mich selbst zu übertragen – auch ich verspüre mitunter in mir Sehnsucht nach den Weiten des Pazifiks, ohne deshalb wahnsinnig zu sein.
Sie sehen selbst, in welchem Umfang Narcisse aufgrund von mehr zufällig festgehaltenen Beobachtungen zur Wissenschaft beigetragen hat, und in welchem Ausmaß die Zeitschrift ihrem Sinn und Zweck nicht nachgekommen ist, indem sie lediglich zwei dürftige und beschämende Seiten veröffentlichte. Ich vergesse nicht, wie sehr ich durch die Zeitschrift beleidigt wurde, doch verschaffen mir meine Beobachtungen und Überlegungen zu Narcisse
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