Was mit Rose geschah
Pflanzen.«
Mein Herz hämmert, als mir das Wort »giftig« über die Lippen kommt. Meine Wangen sind heiß.
Jetzt ist er wirklich bei der Sache. Ich weiß, dass er mich ansieht, obwohl ich ihn nicht ansehen möchte.
»Warum sagst du mir das, JJ? Glaubst du, er hätte einen Grund gehabt, mich zu verletzen?«
Es muss tausend Gründe geben – wegen Rose und meiner Mama und heimlichen Frauen. Vielleicht ist – warum bin ich nicht früher darauf gekommen? – sogar Rose die heimliche Frau. Was bedeuten würde, dass es nicht Mama ist … aber ich glaube, das ergibt keinen Sinn, also …
»Ich weiß nicht.«
»Es muss einen Grund geben.«
»Ich glaube, er hat … Werden Sie es auch keinem erzählen – meiner Mama oder sonst wem?« Jetzt sehe ich ihn an, und er schüttelt den Kopf.
»Ich glaube, er hat Geheimnisse …«
»Was für Geheimnisse?«
»Keine Ahnung. Ich glaube, er hat eine … heimliche Freundin.«
»Ach, wirklich?«
Er geht ein Stück und sieht aus, als würde er nachdenken.
»Weißt du, wer sie ist?«
Ich schüttle den Kopf. Komme mir richtig dumm vor. Ich wollte ihm erzählen, was ich in seinem Schrank gefunden habe, kann es aber nicht. Ich kann die Worte nicht aussprechen. Und wie soll ich ihm sagen, dass es meine Mama sein könnte? Ich kratze mit der Schuhspitze über den Betonweg und reiße Moos dabei ab.
»Meinst du, er hatte schon eine heimliche Freundin, als er noch mit Rose verheiratet war?«
Auf diese Idee bin ich noch gar nicht gekommen, warum eigentlich nicht? Mr Lovell scheint sich nicht über mich lustig zu machen. Ich glaube, er nimmt mich ernst. »Das weiß ich nicht. Großonkel ist der Einzige, der es wissen könnte.«
»Hast du jemals gesehen, dass er Besuch von einer Frau bekommen hat?«
»N…nein.«
Ich denke an den Abend, an dem ich in unseren Wohnwagen geschaut habe. An ihn und sie. Ich hole tief Luft. Atme aus. Ich kann es nicht sagen.
»Hat bei euch in der Familie mal jemand von Bilsenkraut oder Mutterkorn gesprochen?«
»Nein.« Meine Stimme kommt in einem bescheuerten Quietschen raus, als wäre ich acht Jahre alt.
»Natürlich können sie nicht genau sagen, wie es passiert ist. Möglicherweise hat jemand beim Kräutersammeln einen Fehler begangen. So etwas kommt vor.«
»Ja, natürlich.«
»Ivo war am Montag also nicht krank, sondern ist nach London gefahren?«
»Das hat Mama jedenfalls erzählt.«
»Und in deiner Familie ist niemand sonst krank geworden?«
»Nein. Allen geht es gut. Sie haben mich besucht. Bis auf ihn.«
Wir sind fast wieder am Ausgangspunkt angelangt und nähern uns der Bootshütte von der anderen Seite. Ich würde ihn gern fragen, was er denkt, weiß aber nicht, wie. Ich kann nur daran denken, dass Ivo ihn vergiftet hat. Es kann kein Versehen gewesen sein, denn sonst wäre er auch krank geworden. Und wenn Ivo Mr Lovell vergiftet hat, hat er vielleicht auch Rose getötet. Womöglich hat er ihn sogar vergiftet, weil er Angst hatte, er könnte es herausfinden …
Dann sprechen wir beide gleichzeitig.
»Was haben Sie vor?«
»Vielleicht sollten wir zurückgehen.«
Wir schauen einander an.
»Ich werde herausfinden, was passiert ist. Das habe ich mir fest vorgenommen. Es kann ganz anders sein, als es scheint. Mach dir keine Sorgen.«
In meinem Kopf tauchen tausend Fragen auf, ein hoffnungsloses Durcheinander. Ich bin entsetzt, wie betäubt und habe gleichzeitig ein furchtbar schlechtes Gewissen.
»Ich weiß nicht …«
Mr Lovell schaut mich an. »Du hast mir nichts erzählt, was ich in den nächsten Tagen nicht selbst herausgefunden hätte. Ich bin sehr dankbar, dass du es mir gesagt hast. So etwas ist nicht immer einfach.«
»Aber was ist mit Christo? Was wird aus ihm, wenn …?«
Ich schäme mich, weil mir Tränen übers Gesicht laufen; mir rinnt warmes Salzwasser in den Mund, bevor ich es wegwischen kann.
»Mach dir jetzt noch keine Sorgen. Mal sehen, was passiert.«
Wir gehen schweigend zurück ins Krankenhaus. Ich spüre die ganze Zeit seinen Blick auf mir. Er scheint ein netter, anständiger Mann zu sein; ich halte ihn für einen guten Menschen, doch obwohl er erwachsen ist, spüre ich, dass er ebenso wenig wie ich weiß, was er sagen soll.
43
Ray
Hen hat Ivo nicht finden können. Weder auf dem Stellplatz, wo ihm die Familie sagte, er sei bei Christo in London, noch im Krankenhaus, wo sich die Mitarbeiter wunderten, dass der Vater des Jungen seit Anfang der Woche nicht mehr da gewesen war. Hen ging zu Lulu, weil er sie
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