Was mit Rose geschah
ich weiß, war sie nie dort und ist es auch jetzt nicht.«
Er klingt aufrichtig – und genau das macht mich wütend.
»Ich wurde mit Bilsenkraut vergiftet – am Sonntag, während ich mit Ihrem Sohn gegessen habe! Wie erklären Sie sich das? Wie genau soll das wohl passiert sein?«
Tene schüttelt bekümmert den Kopf. »Ich weiß es nicht, Mr Lovell, ich weiß es nicht. Er muss einen Fehler gemacht haben.«
»Ich hätte sterben können!«
»Es tut mir wirklich leid, Mr Lovell, aber wenn es hier passiert ist, dann war es keine Absicht.«
Ich starre ihn frustriert an. Ich habe zwei Probleme – das eine ist, dass ich ihm gegen meinen Willen glaube. Ich war mir sicher, dass ich eine Regung in seinem Gesicht sehen würde, wenn ich die Überreste erwähne. Doch obwohl ihm etwas an der Sache mit dem Black Patch nicht zu behagen scheint, glaube ich nicht, dass es mit Rose zu tun hat. Ich muss davon ausgehen, dass Ivo – sollte er vor vielen Jahren Rose und jetzt mir etwas angetan haben – allein gehandelt hat. Das zweite Problem ist, dass ich Tene gegen meinen Willen mag. Und Mitleid mit ihm habe. Das kann das Urteilsvermögen trüben.
»Ich weiß, dass Sie wütend sind, Mr Lovell, und kann es Ihnen nicht verdenken, aber wir sind keine schlechten Menschen. Wirklich nicht. Wir sind diejenigen, die wieder und wieder verletzt werden. Liegt es daran, dass wir Zigeuner sind? Ich weiß es nicht. Aber wir sind verflucht. Womit haben wir das verdient? Meinen Sie, ich denke mir so etwas aus? Ich habe so viele Angehörige verloren, dass es mir egal ist, was die Leute sagen. Ich habe meine Onkel verloren, meine Brüder … meine kleinen Jungen, meine liebe Frau … ich habe meine einzige Tochter verloren, meine Schwiegertochter … und nun sieht es aus, als hätte ich mein letztes, mein einziges Kind … auch verloren. Was soll ich sagen? Was bleibt mir noch?«
Seine Stimme ist leise, doch er hätte ebenso gut schreien können. Ich bin entwaffnet. Ich suche nach einem Argument, einer Entgegnung, aber es scheint eine stumpfe, grausame Waffe.
»Der Black Patch …«
»Der Black Patch! Menschen begehen Fehler.« In seinem Mundwinkel klebt ein bisschen Speichel. »Ich habe einen Fehler begangen! Es tut mir leid, wenn ich Sie in die Irre geführt habe, falls Sie das denken.«
»Ivo verschwindet in dem Moment, als man die Überreste einer jungen Frau findet und ich vergiftet werde. Sind das nur Zufälle?«
»Ich behaupte ja nicht, dass ich alles auf der Welt verstehe. Sie sicher auch nicht. Verstehen Sie etwa, weshalb meine Familie von diesem Fluch getroffen wurde?« In seinen Augen schimmern ungeweinte Tränen.
»Wissen Sie, wo Ihr Sohn ist, Mr Janko?«
Tene blinzelt wieder, und diesmal läuft die Träne über die Wange in seinen Schnurrbart. »Nein.«
Ich komme mir vor wie ein Mörder.
Draußen wende ich mein Gesicht der Sonne zu. Ich bin erschöpft. Ich werde das Gefühl nicht los, dass mir etwas Wichtiges entgangen ist. Ich klopfe an die Tür des Wohnwagens, in dem JJ lebt. Sandra macht die Tür auf und hält sich schützend die Hand über die Augen. Sie rührt sich nicht von der Stelle, lächelt aber.
»Hallo, Mr Lovell. Wie schön, dass Sie wieder auf den Beinen sind. JJ hat uns erzählt, dass Sie im Krankenhaus waren.«
»Ja, vielen Dank. Ich wüsste gern, wie es JJ geht. Was macht sein Arm?«
»Es geht ihm gut. Bestens. Er ist im Augenblick nicht hier. Er ist mit Freunden unterwegs.«
»Oh. Das ist gut. Er ist ein kluger Junge, oder? Nachdenklich.«
»Sie meinen wohl, er ist ein bisschen abgedreht.«
»Sie müssen stolz auf ihn sein.«
Sie lächelt, wirkt aber verlegen. Lob weckt den bösen Blick.
Ich betrachte ihr Gesicht eingehend: die blasse grobporige Haut; die dunkelbraunen Augen mit den leicht herabhängendenLidern; die Art, wie sie ihr rötlich blondes Haar ungeduldig hinters Ohr streicht. Ich versuche, etwas Vertrautes zu entdecken, Erinnerungen herzuholen an den Abend … doch es kommen keine. Und sie wirkt völlig ungezwungen in meiner Gegenwart.
»Wissen Sie, wo ich Ivo finden kann?«
»Ich weiß nur, dass er in London ist.« Sie wirkt nicht, als hätte sie etwas zu verbergen. »Sie könnten es bei seiner Tante Lulu versuchen. Ich glaube, er wollte wieder bei ihr wohnen. Ich habe irgendwo ihre Adresse …«
Ich erwähne nicht, dass ich sie bereits habe. Sie bittet mich herein. Auf der Schwelle sehe ich mich um. Ihr Wohnwagen ist sauber, aufgeräumt und angenehm altmodisch. Dunkle
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