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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Penney
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wirklich ist. Ich glaube, das will er auch gar nicht hören.
    »Und was hat euch dazu gebracht, wegzuziehen?«
    »Hm … Wir hatten nicht genug Platz. Es war der Stellplatz von jemand anderem. Er war nur untervermietet.«
    »Oh. Das ist eigentlich nicht erlaubt.«
    Das wissen wir alle, aber weshalb sollte man nicht im Sommer wegfahren, wenn man schon einen Wohnwagen hat? Wenn gorjios in Urlaub fahren, zieht auch niemand in ihr Haus, warum sollte das bei uns so sein? Doch wenn man seinen Stellplatz verlässt, vergibt die Stadt ihn an jemand anderen, also muss man private Vorkehrungen treffen. Ich habe ein paar Leuten in der Schule erzählt, dass wir nach Frankreich fahren (allerdings nicht, dass wir nach Lourdes wollen und auf ein Wunder hoffen), und sie haben mich angesehen und gesagt: »Aber ihr seid Zigeuner – die sind doch angeblich arm.« Daraufhin habe ich nichts mehr erzählt.
    »Wo soll ich dich absetzen?«
    Wir fahren jetzt die A32 entlang. Bis zu unserem Platz ist es nicht mehr weit. Ich will um gar keinen Preis, dass Mr Williams sieht, wo ich wohne. Wenn er das sieht, darf ich sein Haus nie wieder betreten; ich darf nie wieder in Katies schönen Stall oder auf das Sofa, auf dem sie nachdenkt, oder irgendetwas anfassen, das ihr gehört.
    »Sie können mich an der nächsten Ecke absetzen. Es ist ganz in der Nähe.«
    Zum Glück regnet es nicht mehr.
    »Sicher? Na gut.«
    Er drängt mich nicht. Er will zurück in seinen Sessel vor den Fernseher, nachdem er einen schweren Tag damit verbracht hat, Leuten zu sagen, dass sie ihre Stellplätze nicht untervermieten dürfen. Er hält am Straßenrand, und ich steige aus.
    »Vielen Dank, Mr Williams … und danke auch an Katie und fürs Mitnehmen … und so.«
    Er fährt weiter, bevor ich zu Ende gesprochen habe. Kann es gar nicht abwarten, hier wegzukommen. Ich warte noch, bis der Wagen verschwunden ist, damit er nicht sieht, dass ich nicht in die Seitenstraße gehe, sondern in die andere Richtung, bis ich das Licht eines unserer lieben alten Wohnwagen erkenne, das schwach durch die Bäume schimmert.
    Ich gehe zu unserem Wohnwagen. Ich gebe mir keine besondere Mühe, leise zu sein, aber Mama hat die Vorhänge nicht geschlossen, und da sehe ich das Allerseltsamste an diesem ohnehin schon seltsamen Tag. Ehrlich gesagt, ich mag gar nicht daran denken.

21
    Ray
    Ich erkenne ihn sofort vom Hochzeitsfoto. Das lange schwarze Haar, die wachsamen Augen, die ganze Haltung. Sein zartes attraktives Aussehen ist kaum härter geworden; nur die Wangen sind ein wenig hohler, die Augen inzwischen ein wenig blutunterlaufen. Er ist schmal gebaut und drahtig und für einen jungen Mann ziemlich altmodisch gekleidet. Seine Kleidung kündet von seiner Identität: ein Hemd mit langen Ärmeln, selbst im Juni eine schwere, bis oben zugeknöpfte Weste. Um den Hals hat er ein Tuch geknotet.
    Als Kath mich in seinen Wohnwagen führt (einen Jubilee, den ich von meinem ersten Besuch her wiedererkenne), sitzt Ivo mit einem kleinen Kind auf dem Schoß am Tisch. Er füttert es mit eingeweichten Frühstücksflocken. Er steht nicht auf, deutet aber mit einem Kopfnicken auf den freien Platz am anderen Ende.
    »Mein Vater sagt, Sie wollen alles über Rose wissen.«
    Ich versuche, das Kind nicht anzuschauen, aber es gelingt mir nicht. Ich weiß, dass der Junge sechs Jahre alt sein muss, aber er ist winzig; ein junges Vögelchen, kleiner als mein Patensohn Charlie. Ich hätte ihn auf drei, höchstens vier geschätzt. Und auch, dass er ein Mädchen ist. Christo Janko sieht aus wie sein Vater, fast schwarzes langes Haar und riesige dunkle Augen in einem herzförmigen Gesicht. Ein schönes Kind, aber offenkundig seltsam: der Kopf zu groß für den zerbrechlichen Körper und den schmalen Hals, die Gliedmaßen nur Stöckchen, in Jeans gekleidet.
    Ich lächle ihm zu.
    »Hallo, Christo.«
    Der Junge starrt mich an, antwortet aber nicht.
    Ich schaue zu Ivo. »Versteht er mich?«
    »Natürlich, wieso nicht? Er redet nur nicht viel.«
    Christo grinst seinen Vater an.
    »Hat man Ihnen nichts von ihm erzählt?«
    »Doch. Aber nicht, was mit ihm los ist.«
    »Es ist der Familienfluch.«
    »Der was?«
    »Man weiß es nicht. Wir waren bei den Ärzten und so weiter, aber sie können es uns nicht sagen. Ich hatte es auch, als ich jünger war, aber es ist besser geworden. Also haben wir noch Hoffnung.«
    Ivo hat eine seltsam faszinierende Stimme – sie klingt hell und ziemlich jung, aber auch heiser, als hätte er eine

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