Was mit Rose geschah
oder?«
Er klingt nicht aggressiv – seine Stimme ist so sanft wie immer, und er schaut immer noch zu, wie der Traktor in der Ferne über den Feldweg kriecht.
»Ich hätte ihr nie wehgetan. Sie hat uns verlassen. Ich glaube, sie konnte es nicht ertragen. Hatte eine Art Zusammenbruch oder wie auch immer. Ich glaube, sie wollte Christo und micheinfach vergessen – als hätte es uns nie gegeben. Von neuem anfangen. Das glaube ich.«
Er schnippt die aufgerauchte Zigarette in die Hecke und geht zurück. Ich bin entlassen.
Ich folge ihm zu dem Wohnwagen, wo er seinen Sohn wieder in Empfang nimmt. Sein Cousin bleibt auf der Schwelle stehen und schaut mich durch einen Vorhang dunkler Haare an.
»Sie sind der Detektiv.«
»Ja, ich bin Ray. Ray Lovell.«
Ich strecke die Hand aus. Er nimmt sie langsam und schüttelt sie.
»JJ.«
»Hi. Könnte ich kurz mit dir reden?«
Ich versuche mich zu erinnern, wie man mit Teenagern redet. Leider habe ich das noch nie gekonnt.
22
JJ
Ich glaube nicht, dass Mr Lovell ein sehr erfolgreicher Privatdetektiv ist – sein Auto ist ziemlich alt und schmutzig. Aber er scheint ganz in Ordnung zu sein. Bei manchen Leuten fühlt man sich unwohl, bei anderen nicht. Zu denen gehört er. Bei ihm entspannt man sich. Ich habe ihn gefragt, wie es ist, Privatdetektiv zu sein, und er hat gesagt, er würde es mir eines Tages erzählen. Es war komisch – ich hatte nicht den Eindruck, dass er mich nur vertrösten wollte.
Eine Minute, nachdem er weggefahren ist, reißt Ivo die Tür des Wohnwagens auf.
»Jesus! Kannst du nicht anklopfen?«, fahre ich ihn an.
»Was wollte er?«
»Wer?«
»Der Schnüffler. Worüber wollte er mit dir reden?«
»Na ja … er hat mir sicher die gleichen Fragen gestellt wie dir. Was ich über Rose weiß.«
»Warum fragt er dich danach?«
»Keine Ahnung.«
»Was hast du ihm erzählt?«
»Was ich noch weiß. Von der Hochzeit. Das ist alles. Wieso?«
»Wieso fragt er dich? Du warst doch noch eine Rotznase!«
»Woher soll ich das wissen? Ich nehme an, er fragt jeden.«
»Es gefällt mir nicht, wie er herumschnüffelt. Als hätte er einen Verdacht. Als würde er glauben, ich hätte ihr was angetan.«
»Ich glaube nicht, dass er das denkt. Er schien ganz in Ordnung zu sein.«
»Er glaubt ja auch nicht, dass du sie umgebracht hast.«
Ich seufze. Ich hasse es, wenn Leute in den Wohnwagen platzen, ohne anzuklopfen. Das ist doch wohl das Mindeste, was sie tun können, wenn man kein eigenes Zimmer hat.
»Ich glaube nicht … dass er denkt, jemand hätte sie umgebracht.« Allerdings ist mir dieser Gedanke auch noch nie gekommen. Ich sehe meinen Onkel mit ganz neuen Augen. Ist es möglich, dass einer meiner Verwandten seine Frau ermordet hat? Mein Onkel Ivo? Nein, natürlich nicht. Ivo scheint sich zu entspannen.
»Sorry, Kleiner, es ist nur … ich habe schon so viele Sorgen mit Chris, das ist alles.«
»Mr Lovell hat auch nach ihm gefragt.«
»Nach Chris? Verdammt noch mal. Christo geht ihn nichts an! Der hat sie wohl nicht mehr alle.«
»Er meint, du solltest eine zweite Meinung einholen. Mit ihm nach London zu einem Spezialisten fahren.«
»Ach ja? Was denn für ein Spezialist?«
»Ein Kinderspezialist. Was weiß ich. Vielleicht sollten wir das machen.«
»Ach, du bist jetzt ein Fachmann, was? Bezahlst du auch dafür?«
»Nein.«
Ich habe wirklich die Nase voll von ihm, sonst würde ich Nachfolgendes nicht sagen.
»Aber es wird kein blödes Wunder geben, oder? Warum tun wir eigentlich alle so? Ist doch Scheiße.«
Ivo widerspricht mir nicht. Er stimmt mir auch nicht zu. Er sagt gar nichts. Sieht nur traurig aus.
»Denn als du …«
Da packt er mich im Nacken an den Haaren, dass es wehtut, und kommt ganz nah an mein Gesicht heran und brüllt michan, wobei ich die Nikotinflecken auf seinen Zähnen sehen und seinen stinkenden Kippenatem riechen kann.
»Herrgott, JJ! Kannst du denn nie die Klappe halten?«
Seine Augen funkeln wild, er sieht aus wie ein Fremder, ein Verrückter. Ich bin so entsetzt, dass ich kein Wort herausbringe. Mein Onkel Ivo hat mich seit Jahren nicht angeschrien. Er verliert nie die Beherrschung. Nicht wirklich. Selbst wenn er richtig wütend ist, ist es eine leise glimmende Wut. Er lässt mich los und greift in sein eigenes Haar. Er verzieht den Mund, als wollte er etwas unterdrücken. Eine verrückte Minute lang glaube ich, er könnte anfangen zu weinen oder so, aber er schluckt es hinunter.
»Tut mir leid, JJ, tut mir leid. Du
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