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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Penney
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sogar beflügeln, weil ich dann wüsste, dass ich ihr nicht gleichgültig bin. Distanz jedoch ist tödlich.
    Als sie mir zum ersten Mal von ihrer Affäre erzählte, sagte sie, sie liebe ihn nicht. Sie habe ihn gern, erklärte sie, weil sie kein gefühlloser Mensch sei. Selbst in meinem Schockzustand sah ich rot.
    »Doch, das bist du«, brüllte ich. »Du bist gefühllos. Du hast mir das angetan! Uns hast du das angetan! Wie konntest du nur?«
    Jen seufzte, müde aus tiefster Seele. Tränen schimmerten in ihren Augen. Für sie, für mein energisches, lautes Mädchen, war das ein höchst ungewöhnliches Verhalten.
    »Oh, Ray … du hast immer so hohe Erwartungen an mich. Alles muss perfekt sein. Du willst alles für mich sein. Ich kann es nicht ertragen. Ich bin nämlich nicht perfekt!«
    Ich konnte nicht glauben, dass sie das wirklich gesagt hatte. Sie beklagte sich, weil ich alles für sie sein wollte. Was war so schlimm daran? Ich sagte nicht, dass sie immer alles für mich gewesen war, weil ich fürchtete, die Fassung zu verlieren.
    Ich lief im Wohnzimmer auf und ab. Es war noch nicht einmalzehn Uhr. Meine Hände zitterten. Als sie es mir damals sagte, zitterten meine Hände die ganze Zeit, als hätte ich plötzlich Parkinson. Selbst als ich Waise wurde, zitterten meine Hände nicht so. Jemand hat mal gesagt, dass der Tod des zweiten Elternteils schlimmer sei, weil man dann begreife, dass niemand mehr zwischen einem selbst und dem Grab stehe. Als mein Vater starb und meiner Mutter auf den Friedhof außerhalb von Hastings mit Blick auf den Ärmelkanal folgte, weinte ich um ihn. Ich trauerte – manchmal sogar sehr. Aber nur sporadisch. Manchmal wählte ich aus den Tiefen meiner Trauer heraus die Nummer des Pizzataxis, wie verhungert, wie besessen von Salamipizza. Sonderbar, dass ein Ehebruch, der sicher keine Tragödie ist, schmerzlicher ist als der Tod.
    Was soll ich sagen? Natürlich habe ich angerufen. Trotz allem. Das Telefon klingelte ewig. Doch sie war entweder nicht da oder klug genug, sich nicht zu melden. Schließlich legte ich auf und ging die Papiere auf dem Tisch durch. Ich fand den Zettel mit Vanessas Nummer und rief sie an, wobei ich versuchte, mir ihr Gesicht ins Gedächtnis zu rufen. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, weil ich mich nicht mehr genau daran erinnern konnte.
    Fast zwei Wochen waren vergangen, seit wir die Nacht miteinander verbracht hatten. Daher war ich nicht überrascht, als sie verhalten reagierte.
    »Ist schon eine Weile her.«
    »Ich weiß. Es tut mir leid. Ich, hm …« Ich verwarf die Idee, alles auf die Arbeit zu schieben. Es wäre eine Beleidigung gewesen. »Ich war mir nicht sicher, was ich wollte. Ich weiß nicht, ob Madeleine es erwähnt hat, aber ich lasse mich scheiden, und … ich bin nicht so gut darin, das alles zu verarbeiten. Nennt man es nicht so?«
    »Und warum rufst du an?«
    »Ja, ich … ich habe mich gefragt, ob du immer noch Lust auf ein Treffen hast – einen Film ansehen oder so?«
    Pause. Ich stellte mir vor, wie sie ihre Möglichkeiten abwog. Vermutlich dachte sie, dass die meisten Männer in unserem Alter wohl irgendwie beschädigte Ware seien.
    »Ich weiß nicht. Kann ich es mir überlegen?«
    »Ja, natürlich.«
    »Na schön. Dann … mach’s gut.«
    Ein bisschen verwundert hängte ich ein. Immerhin hatte es mich vorübergehend abgelenkt.
    Als sie am nächsten Abend zurückrief, besserte sich meine Laune. Ich hatte mich schon damit abgefunden, dass sie nicht anrufen würde, um mich zu bestrafen – was ich absolut verdient hätte –, und freute mich umso mehr, ihre Stimme zu hören. Dann erklärte sie, sie habe es sich überlegt und wolle, obwohl sie mich möge, nichts mit einem so unzuverlässigen Menschen anfangen. Dafür sei sie zu alt. Sie fügte hinzu, es tue ihr leid, was freundlich, aber unnötig war. Ich sagte, es tue mir auch leid und dass ich sie verstünde. Wir waren beide voller Bedauern und Verständnis. Als ich auflegte, fühlte ich mich wie hundert.
    Lulu hingegen klingt fröhlich, wenn nicht gar erfreut. Ich bitte sie, mich noch einmal zu treffen, um »einige Punkte zu klären«. Sie fragt nicht, worum es geht oder weshalb ich es nicht am Telefon klären kann.
    Wir treffen uns im selben Café wie zuvor. Diesmal ist mehr los, weil Samstag ist. Lulu kommt eine Minute nach mir herein, sie trägt Jeans und dazu – sie springen mir sofort ins Auge – schwarze glänzende Stiefel mit gefährlich hohen Absätzen. Sie wirkt entspannter, als

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