Was mit Rose geschah
hast recht. Wir sollten das machen. Wir machen das auch. Einverstanden? Ein Spezialist.«
»Wenn du willst, komme ich mit.«
»Klar, in Ordnung. Wir machen das. Du und ich.«
Er sagt es in einem Ton, der bedeutet, dass wir nicht mehr darüber reden. Er nimmt seine Zigaretten heraus und steckt sich eine zwischen die Lippen.
»Auch eine?« Er hält mir die Packung JPS hin. Ich schüttle den Kopf, obwohl Mama bei der Arbeit ist und es nicht merken würde.
Seit dem Abend, an dem ich von Katie zurückgekommen bin, fühle ich mich unbehaglich mit Ivo. Ich versuche, nicht daran zu denken, aber es fällt mir schwer. Ich versuche, nicht daran zu denken, was ich gesehen habe, aber es geht mir immer durch den Kopf, drängt Katies Haar beiseite und ihre roten Lippen und das wunderschöne kastanienbraune Pferd im Stall, das noch schöner aussieht als ihr Haus. Manchmal geht einem ja etwas pausenlos durch den Kopf und dreht sich immer im Kreis, so dass man es gar nicht richtig zu fassen kriegt. Was ich gesehen habe … weiß ich nicht einmal genau. Ich bin zum Wohnwagen gegangen, und die Vorhänge waren nicht geschlossen, nur die Spitzengardinen, und ich konnte reinsehen, weil Licht brannte,aber es war nicht ganz deutlich … und Mama und Onkel Ivo waren drinnen. Das an sich war schon ungewöhnlich – ohne Christo oder mich oder sonst jemand, meine ich. Aber das Komische war – es sah aus, als würden sie sich … nicht küssen. Nein. Das nicht, aber sie – Mama – hatte die Hände auf seinem Gesicht, so wie man Menschen normalerweise nicht anfasst. So wie man seinen Cousin nicht anfasst. Normalerweise. Aber es war auch nur eine Sekunde, und dann machte er sich von ihr los und ging zur Tür und nach draußen. Und sie stützte die Hände auf die Arbeitsplatte und stand da, mit hängendem Kopf und gebeugten Schultern, und sah wirklich traurig aus.
Ich erstarrte draußen im Halbdunkel und wusste nicht, was ich tun sollte. Ivo blieb ein Stück weiter stehen, und ich hielt die Luft an und hoffte, dass er mich nicht gesehen hatte. Er seufzte und zündete sich eine Zigarette an. Ich stand da wie eine Statue und wartete, dass er zu sich gehen oder mich sehen würde oder so. Dann endlich ging er zu Großonkels Wohnwagen. Ich seufzte erleichtert. Aber ich war nicht erleichtert. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich weiß es noch immer nicht.
Ich denke darüber nach, wie ich mir früher immer vorgestellt habe, dass Ivo mein Vater wäre. Damals war ich noch zu jung, um zu verstehen, was das bedeutet. Und ich denke daran, dass Großonkel seine Cousine ersten Grades geheiratet hat und dass deshalb alle ihre Söhne außer Ivo an der Familienkrankheit gestorben sind. Dann frage ich mich, ob ich auch die Familienkrankheit bekomme. Und dann fällt mir ein, dass sein Vater, mein Urgroßvater, der Milos Janko hieß, auch seine Cousine ersten Grades geheiratet hat … also … wenn das alles kein Problem war, warum hat Mama Ivo nicht geheiratet? Weil er krank war? Weil er jünger ist als sie? Liebt sie ihn jetzt?
Wo war ich stehen geblieben? Katie. Ich will nicht an die anderen denken. Ich will an Katie denken. An Küsse, die nach Tee schmecken, und an seidiges Haar, das über meinen Mund streicht. Es fühlte sich kühl und weich an, so wie wenn man imKunstunterricht einen brandneuen Pinsel hat – einen von den teuren aus Eichhörnchenhaar – und sich damit über die Lippen streicht, wenn niemand hinschaut. Was wäre geschehen, wenn ich nicht gesagt hätte, ich müsste nach Hause? Auf dem grauen Steinboden des Stalls …
Als ich mich in diese Fantasie hineinsteigere, sehe ich Mama und Ivo wieder vor mir – anscheinend ist das Bild von innen auf meine Augenlider geprägt. Es war ihr Gesichtsausdruck, der mir solche Angst gemacht hat. Aber konnte ich das von draußen wirklich richtig erkennen? Wenn ich mich nun getäuscht habe?
Wenn ich den Wohnwagen für mich alleine habe, feiere ich das normalerweise, indem ich mir einen runterhole – auch ohne Fantasien von Katie Williams –, aber im Augenblick bin ich zu deprimiert.
23
Ray
Als ich aus Richmond nach Hause kam, musste ich mich richtiggehend zusammennehmen, um Jen nicht anzurufen. Ich kämpfte gegen den Drang an, indem ich mir vergegenwärtigte, was passieren würde, wenn ich mit ihr spräche. Sie würde distanziert und belustigt klingen. Und erleichtert, weil sie nichts mehr mit mir zu tun hatte. Mit Hass, Geschrei und Beschimpfungen könnte ich leben: Sie würden mich
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