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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Penney
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abgeschlossen. Also nutze ich meine neuen bösen Fähigkeiten und schlage das Ausstellfenster mit einem Stein ein. Diesmal finde ich ein paar Autohandschuhe, mit Lederhandflächen und durchlöcherten Handrücken, wie alte Männer sie tragen. Sie sind abgenutzt und um die geisterhaften Hände des Fahrers gerundet. Sie sind weich und schmierig, an den Fingerspitzen fast durchgewetzt und viel zu groß für mich, aber trotzdem. Als ich weggehe – diesmal renne ich nicht –, schwillt mir die Brust vor lauter Stolz, weil ich damit durchgekommen bin. Niemand hört mich. Niemand sieht mich. Ich muss mich nicht mal beeilen.
    Denn niemand interessiert sich für mich.
    Dann dämmert es mir. Dieses Geheimnis haben sie mir vorenthalten. All die Dinge, die man angeblich tun oder nicht tun soll – wozu? Es ist den Leuten ohnehin egal.
    Zum Beispiel meinem Vater.
    Ich habe keine Ahnung, wie lange ich durch den Regen gelaufen bin, als ich mich dem dritten Auto nähere. Ich bin so nass, als wäre ich in einen Fluss gesprungen; selbst meine Unterhose ist durchweicht. Mir ist so kalt, dass ich kaum noch meine Hände spüre. Ich könnte aus Marmor sein, eine bewegliche Statue. Ich hebe meine Marmorfaust und schlage gegen das Seitenfenster. Ich muss ein paarmal zuschlagen, bevor es zerbricht, aber ich spüre nichts. Ich öffne die Tür und setze mich hinein. Das Wasser tropft mir vom Pony in die Augen. Meine Ohren spüre ich schon gar nicht mehr. Im Handschuhfach finde ich ein Pornoheft und einen Flachmann mit Whisky. Ich spiele mit dem Gedanken, das Heft zu nehmen, doch da, wo ich hinwill, wäre es fehl am Platz. Und der Whisky ist vielleicht zu nützlich, zu magisch, ich sollte mir etwas anderes suchen. Auf dem Boden liegt nochein Eiskratzer, aber das ist es auch schon. Ich beschließe, diesen Kratzer gegen den anderen zu tauschen. Das ist unheimlich witzig – ich frage mich, wann sie das wohl bemerken!
    Da ich sonst nichts mitnehmen kann, öffne ich die Whiskyflasche und trinke einen Schluck. Ich schmecke nichts als eine metallische Bitterkeit, die ewig in meinem Mund zu bleiben scheint, doch nach ein oder zwei Sekunden spüre ich seine feurige Spur in der Kehle. Es ist toll – Hitze und Kälte, Lava und Eis. Ich nehme noch einen Schluck und muss würgen, als er meinen Magen erreicht. Ich lehne mich keuchend zurück. In meinem Mund sammelt sich das Wasser, doch irgendwann legt sich der Drang zu kotzen.
    Da sitze ich nun tropfnass und durchgefroren auf dem Fahrersitz eines Ford Sierra, der Gott weiß wem gehört. Müdigkeit überwältigt mich. Ich weiß nicht, wie weit ich noch laufen muss. Meine Sicherheit ist davongeschwemmt. Plötzlich lache ich leise vor mich hin und beginne haltlos zu zittern. Die Sache ist ganz schön komisch, wenn man darüber nachdenkt; richtig absurd. Ist es Inzest, wenn man es mit seinem Cousin treibt? Die Leute in der Schule machen Witze über Bauern, die so dumm wie Bohnenstroh sind, weil Eltern miteinander verwandt sind. Aber das stimmt vielleicht gar nicht – und vielleicht ist die Sache mit Mama und Ivo auch noch ganz frisch … vielleicht … vielleicht auch nicht. Ich trinke noch einen Schluck Whisky. Diesmal brennt es nicht so sehr, und mir wird nicht mehr schlecht. Ich spüre ein Körnchen Wärme tief in mir, und der harte Knoten in meiner Brust löst sich allmählich auf. Den vierten Schluck merke ich kaum noch.
    Der Regen trommelt auf das Autodach – ein tröstlicher, monotoner Wirbel. Es regnet seit einer Ewigkeit. Ich lehne mich auf meinem Sitz zurück und schaue zum Himmel – es ist wie im Raumschiff Enterprise, das durch endlose Spiralgalaxien ins Nirgendwo zischt.
    Ich breche das Stück Glas ab, das noch im Fensterrahmensteckt, und starre es an. Es erinnert ein bisschen an den Berg auf der Toblerone-Packung, nur dünner.
    Ein Dolch aus Glas. Ein wahrhaft magischer Gegenstand, der in der Dunkelheit schimmert.
    Manchmal weiß man genau, was man zu tun hat.
    Ich rolle den linken Ärmel hoch und drücke die Spitze des Dolches in meine Haut. Darunter fließt das Janko-Blut – das wahre schwarze Blut. Ich habe es zumindest zur Hälfte in mir – vielleicht auch ganz. Ein Janko durch und durch. Krank, inzestuös, verflucht. Ich drücke fester und sehe die Delle unter der Spitze tiefer werden.
    Fester – und dann scharf nach unten.
    Ein seltsamer wimmernder Laut ertönt.
    Ich reiße den Mund auf und sehe meine eigene Dunkelheit aus mir herausströmen.

31
    Ray
    Wegen des Sturms komme ich erst

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