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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Penney
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Lügen zu erzählen!‹«
    Tene lehnt sich mit einem rauen Lachen zurück. Die Luft ist dunstig von seinem Pfeifenrauch. Er scheint die Kälte nicht zu spüren, was daran liegen kann, dass er sich mehrere Schichten nicht zueinander passender Pullover übergezogen hat. Mir ist eiskalt, eine feuchte, windgepeitschte Drei-Uhr-morgens-Kälte.
    Tene will mein Glas nachfüllen, doch ich lege die Hand darüber. Ich muss noch nach Hause fahren.
    »Sie verstehen, wie ich darauf gekommen bin. Minceskro … ich kann mich nicht an alle Namen erinnern. Mein Vater wusste sie, aber … es ist erschreckend, wie schnell man vergisst. MeineSchwestern interessieren sich nicht dafür. Und die jungen Leute halten gar nichts von alten Geschichten. Sie interessieren sich nur für Popmusik und Fußball, den ganzen gorjio -Mist …«
    Ein Motorgeräusch durchdringt den Nebel. Ich springe auf, so schnell es meine steifen Gliedmaßen zulassen, und gehe zur Tür. Tenes Miene verändert sich – ich sehe die Angst in seinen Augen. Er sagte etwas wie: »Nicht zu hart anfassen.«
    Es ist Ivos Lieferwagen. Die Wut packt mich, als ich hinlaufe. Kath, Jimmy und Sandra sind schon dort und umringen ihn. Auch sie sehen wütend aus. Jimmy packt ihn am Arm und murmelt etwas. Ivo sieht mich an, sein Gesicht ist gehetzt. Er wirkt resigniert und sehr jung.
    »Was zum Teufel war los mit Ihnen?«
    Schon während ich frage, merke ich, dass ich einen Fehler mache. Die anderen drehen sich zu mir und treten schützend vor Ivo. Er drängt sie beiseite. Sein Blick wirkt hohl und erschöpft.
    »Ist Christo …? Geht es ihm gut?« Seine Stimme klingt heiserer als sonst, der Hauch eines Flüsterns.
    »Gut? Ich weiß nicht, ob das der richtige Ausdruck ist. Gavin hat seine wertvolle Zeit für nichts geopfert – so können Sie mit anderen Menschen nicht umgehen. Weshalb sollte er Ihnen noch einmal helfen?«
    Er antwortet nicht, schaut mich nur flehend an.
    »Lulu hat ihn zu weiteren Untersuchungen ins Krankenhaus gebracht. Und ja, es geht ihm gut. Vermutlich fragt er sich, was aus Ihnen geworden ist. Sicher fürchtet er sich.«
    Ein qualvoller Ausdruck huscht über sein Gesicht. »Ich … konnte nicht. Es tut mir leid. Ich musste … «
    Kath zieht ihn heftig in Richtung Wohnwagen.
    »Mr Lovell!« Er dreht sich um; er sieht aus wie ein Gefangener, der abgeführt wird. »Danke, dass Sie das für ihn getan haben. Das war wirklich nett.«
    Dann schieben sie ihn in den Wohnwagen und schlagen die Tür zu. Ich bin allein.
    »Gehen Sie nicht zu hart mit ihm ins Gericht.«
    Tene kämpft an der Tür mit dem Rollstuhl. Sympathie überkommt mich. Er ist nur dem Namen nach das Oberhaupt der Familie; er kann sie nicht kontrollieren oder auch nur mit ihnen Schritt halten – er kann sich lediglich entschuldigen.
    »Wir bringen das schon in Ordnung. Wir machen es mit ihm aus, keine Sorge. Gehen Sie noch nicht … bitte.«
    Drinnen bietet er mir einen Whisky an, um die Sache zu bereinigen, um Abbitte zu leisten für das Chaos, das seine Verwandten in ihrem Leben anrichten. Und auch in meinem.
    »Sie müssen begreifen, wie sehr er getrauert hat. Ich hatte nämlich zwei Brüder, Matty und Istvan. Sie sind beide gestorben. Istvan als Kind, ihn hat Ivo nicht kennengelernt, aber er kannte Matty; der ist erst mit dreißig gestorben.«
    Tene weiß nicht, dass Lulu mir davon erzählt hat. Offiziell darf ich also noch nichts wissen.
    »Woran sind sie gestorben?«
    »Sie hatten es beide. Die Krankheit. Bei Istvan war es schlimmer als bei Christo. Er hatte nicht die Kraft, groß zu werden. Matty war auch krank, aber nicht so schlimm. Er bekam nur ständig Infektionen, Lungenentzündung und so weiter. Er war ein wunderbarer Mann.«
    »Tut mir leid.«
    »Dann verlor Ivo seine Brüder. Milo und Steven. Sie starben, als sie noch klein waren.«
    Ich nicke.
    »Aber wir bekamen Christina und dann Ivo. Und wir dachten – Marta und ich –, dass sich unser Glück endlich gewendet hat. Die beiden waren wie Zwillinge. Doch Ivo wurde krank, als er vier oder fünf war. Und dann starb meine Frau – an Krebs. Zwei Jahre danach starb Christina.«
    »Es tut mir so leid.«
    Ich sage es im Flüsterton. Wenn man Worte zu oft wiederholt, wirken sie wie eine Beleidigung.
    Mehr gibt er nicht preis. Seine Trauer ist plötzlich sehr gegenwärtig, als wäre all das erst gestern geschehen.
    »Es … tut mir wirklich sehr leid.«
    Mir ist, als müsste ich es noch einmal sagen, doch nach so viel Beileid bleibt mir die

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