Was mit Rose geschah
sein –, und ich bekomme fast einen Herzinfarkt. Also biege ich in die kleine schmale Straße namens Swains Lane ab, auf der um diese Zeit kaum jemand unterwegs ist. Ein frischer Wind zerzaust die Wipfel der Buchen, die sich wie ein Tunnel über die Straße wölben; der Regen klatscht zwischen ihnen herunter. Unter den Bäumen ertönt überall einDröhnen und Donnern, als würde das ganze Land von einer riesigen Hand geschüttelt. Das Geräusch hüllt mich ein und übertönt meinen keuchenden Atem, der sich beinahe wie ein Schluchzen anhört. Ich gehe jetzt, statt zu laufen, um wieder Luft zu bekommen, doch sobald mein Herz nicht mehr zu explodieren droht, muss ich wieder rennen.
Unterwegs passiert etwas Komisches. Am Ende der Straße, dort wo sie in die breitere Straße mündet, die zurück zum Industriegebiet führt, parkt ein Wagen. Er hat kein Licht an, und niemand sitzt drin. Es sind keine Häuser in der Nähe, und ich kann mir nicht vorstellen, wer seinen Wagen an einem solchen Abend hier abstellen würde. Nur aus Spaß probiere ich im Vorbeigehen den Türgriff. Der Wagen ist nicht abgeschlossen.
Nachdem ich mich umgesehen habe, um sicher zu sein, dass niemand kommt, setze ich mich hinein und stelle mir vor, ich wäre ein total anderer Mensch, der total andere Dinge weiß. Der nicht weiß, was ich weiß. Der keine alten Turnschuhe mit Löchern anhat, die beim Gehen quietschen. Vielleicht bin ich fünfundzwanzig und will gerade nach Hause zu meiner Frau. Vielleicht war ich heute beim Pferderennen und habe Tausende von Pfund gewonnen. Ich habe noch keine Pläne, was ich mit dem ganzen Geld anfangen will; ich genieße die Vorfreude und dass ich es meiner Frau gleich sagen kann. Das Geld liegt neben mir auf dem Sitz; eine säuberliche Rolle Geldscheine mit einem roten Gummiband. Ich habe gesehen, wie sie vom Buchmacher in die Taschen der Leute wandern. Wie sie sich freuen wird. Meine Frau sieht aus wie Katie Williams mit honigblondem Haar.
Es wäre schön, im Wagen zu bleiben – mich auf dem Rücksitz einzurollen, unter einer trockenen karierten Decke zu verstecken und zu schlafen. Vielleicht Hunderte Kilometer von hier entfernt aufzuwachen. Weit weg, mit einem neuen Namen. Aber es gibt keine Decke.
Ich mache das Handschuhfach auf. Darin liegen nur eineLandkarte, ein Notizbuch mit ein paar Zahlen, die nichts zu bedeuten scheinen, und eine dieser Dosen mit steinharten Bonbons, auf denen oben ein rundes Papier liegt und die angeblich verhindern, dass einem auf einer langen Autofahrt übel wird. Plötzlich bin ich ausgehungert und stopfe mir eine Handvoll weiß bestäubter Bonbons in den Mund. Die Dose stecke ich ein. Puderzucker klebt an meinen Fingern; mir läuft das Wasser im Mund zusammen, als ich die Säure von Zitrone und schwarzer Johannisbeere schmecke. Im Türfach steckt ein Eiskratzer, den nehme ich auch mit, einfach nur so.
Draußen ertönt ein seltsames Geräusch. Ich schieße herum, das Herz schlägt mir schmerzhaft bis zum Hals; in meinen Händen und Füßen kribbelt es. Ich steige aus und laufe weg, fest davon überzeugt, dass mich jemand gesehen hat und gleich losbrüllen und aus dem Schatten eine Waffe auf mich richten wird.
Doch es kommt niemand angelaufen. Niemand brüllt. Niemand schießt. Niemand sieht mich.
Niemand interessiert sich für mich.
Richtige Angst habe ich hier draußen nicht. Ich habe viel mehr Angst davor, nach Hause zu gehen und Mama in die Augen zu sehen – oder ihn zu sehen –, als allein hier zu sein. Trotzdem will ich nicht die Abkürzung durch den Wald nehmen; ich glaube, im Dunkeln würde ich den Weg nicht finden. Ich bleibe auf der Straße, gehe schnell, aber nicht zu schnell, und entdecke zwei weitere Autos, die an dunklen verlassenen Stellen geparkt sind.
Aus unerfindlichen Gründen habe ich inzwischen beschlossen, dass es eine notwendige Mutprobe ist, in Autos einzubrechen und aus jedem etwas mitzunehmen, einen Talisman. Jetzt stelle ich mir vor, ich wäre in einem Märchen, in dem der Held drei scheinbar alltägliche Gegenstände besitzt, die aber verzaubert sind und ihm in der größten Gefahr das Leben retten werden.
Ich bin der Held, hoffe ich, aber hoffen wir nicht alle?
Ich nähere mich dem zweiten Auto und rechne damit, jemanden vorzufinden, vielleicht so ein dämliches erwachsenes Pärchen, das miteinander herumschmust und sich überhaupt nicht für mich interessiert, doch es ist niemand drin. Schon wieder: niemand. Die Tür ist allerdings
Weitere Kostenlose Bücher