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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Penney
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kurz vor Mitternacht am Stellplatz an. Alle Lichter in den Wohnwagen brennen; der Regen fällt diagonal, und der Wind peitscht die Bäume in einer ekstatischen Geißelung. Noch bevor ich angehalten habe, rennt Sandra Smith auf meinen Wagen zu – ihr blondes Haar wird auf dem kurzen Stück vom Wohnwagen bis hier dunkel und glatt. Ihr Gesicht schimmert weiß im Scheinwerferlicht, eine Maske der Angst.
    »Wo ist er? Haben Sie ihn gefunden?« Sie schaut auf den Rücksitz, wirkt fast hysterisch. Ich verstehe nicht, warum.
    »Ich weiß nicht, wo er ist, aber er hat seinen Lieferwagen …«
    »Was?«
    Dann stehen Kath und Jimmy neben uns. Jimmy lehnt sich herein. »Wo ist Ivo?«
    »Das will ich ja gerade herausfinden. Ist er noch nicht zurückgekommen?«
    Kath zieht die jüngere Frau von meinem Wagen weg. Ich strenge mich an, um zu hören, was sie sagt.
    »Das ist der Detektiv. Er ist nicht wegen JJ hier. Komm mit …«
    »Was ist los, Mr Smith? Ist etwas passiert?«
    Jimmy macht eine scharfe Kopfbewegung zur Seite, was so viel wie »Steigen Sie aus« heißen soll.
    »Ihr Junge ist weggelaufen. Sie ist außer sich vor Sorge.«
    »Oh Gott, das tut mir leid … Ivo ist auch weggelaufen. Er hat Christo beim Arzt zurückgelassen. Ich habe Ihre Schwägerin angerufen – sie ist jetzt bei ihm im Krankenhaus.«
    »Wer?«
    »Lulu … Luella.«
    »Warum haben Sie denn die geholt?«
    »Na ja … sie ist das einzige Familienmitglied mit Telefon, das ich kenne.«
    Jimmy starrt mich an, als könnte er so viele Informationen nicht verarbeiten, dann führt er mich zu Tenes Wohnwagen.
    Ich frage mich, ob es irgendwo in England ein Loch gibt, in das die Jankos nacheinander hineinfallen.
    Jetzt warten wir darauf, dass Ivo nach Hause kommt. Ich wage nicht, nach London zu fahren und ohne irgendwelche Neuigkeiten bei Lulu aufzukreuzen. Tene ist die Höflichkeit in Person und besteht darauf, mir Gesellschaft zu leisten. Er hat uns Whisky eingegossen und behauptet, er werde nicht schlafen, bis die »Jungs« wieder da seien. Er scheint zuversichtlich, was das betrifft, und auch, dass sich seine Schwester, wie fremd sie ihm auch geworden sein mag, gut um Christo kümmern wird.
    Eine Stunde vergeht. Und noch eine. Uns ist der Gesprächsstoff ausgegangen. Tene raucht Pfeife. Der Regen hämmert aufs Dach. Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand bei diesem Radau schlafen kann; es ist, als säße man im Inneren einer Trommel. Schließlich fragt Tene, ob ich irgendwelche Zigeunergeschichten kenne. Ich schüttle den Kopf. Falls mein Vater welche kannte, hat er sie für sich behalten. Er wollte, dass seine Söhne Postbote werden wie er oder Staubsaugervertreter, so wie mein Bruder.
    »Mir fällt eine ein, die mein Vater uns immer erzählt hat. Wollen Sie sie hören?«
    »Klar.«
    Tene räuspert sich. Senkt die Stimme. Er schaut nach unten, und als er wieder aufblickt, hat sich sein Gesicht verändert, es leuchtet. Er ist der geborene Geschichtenerzähler. Natürlich.
    »Einstmals wurde das weit entfernte Land von einer Königin und einem König regiert. Die Feenkönigin war wunderschönund lebte auf einem Berggipfel in einer Burg aus Kristall. Unter dem Berg lebte der König der Dämonen, der ebenso böse war wie die Königin gut.
    Der König erblickte das wunderschöne Gesicht der Königin und verliebte sich in sie. Er bat um ihre Hand, doch sie lehnte ab. In seinem Zorn erklärte der König den Feen den Krieg und begann, sie auszulöschen. Um ihr Volk zu retten, nahm die Königin seinen Antrag an, fand ihren Ehemann aber so abstoßend, dass er sie betäuben musste, bevor er sie berühren konnte. Sie bekamen neun Kinder, doch es waren die schrecklichsten Kinder, die die Welt je gesehen hatte, denn sie verursachen alle Krankheiten der Menschheit.
    Ihr Erstgeborener war Melalo, ein Vogel mit zwei Köpfen, der seine Krallen in die Herzen der Menschen schlägt und sie wahnsinnig und brutal macht; die Vierte war eine Tochter namens Tcaridyi, ein Wurm, der Fieber verursacht; und der Achte war Minceskro, der Blutkrankheiten erzeugt. Am schlimmsten aber war das neunte Kind, Poreskoro, das weder Mann noch Frau, sondern beides ist und die Pest verbreitet. Selbst der König der Dämonen fürchtete sich vor diesem Kind und ließ die Königin endlich ziehen. Sie versteckte sich unter dem Berg, wo sie bis zum heutigen Tag geblieben ist und ihre Tränen vergießt.
    Am Ende der Geschichte pflegte mein lieber Vater zu sagen: ›Und jetzt bittet mich nicht weiter, euch

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