Was mit Rose geschah
das?«
»Ich weiß nicht. Mir ist, als wäre ich Ihnen etwas schuldig. Mehr kann ich Ihnen im Augenblick nicht anbieten.«
»Das glaube ich nicht. Nein.« Sie meint Rose. Sie meint, dass ihre Familie sie getötet hat. Und dann: »Geht es um den Black Patch? War es dort? «
Wir sitzen einige Minuten schweigend da. Keiner von uns rührt das Dessert an. Ich bin erschöpft. Am liebsten würde ich unter den Tisch kriechen und mich hinlegen. Ich hätte ihr nichts davon sagen sollen, aber ich konnte nicht anders.
»Warum erzählen Sie mir das? Soll ich meinem Neffen davon erzählen? Oder Tene? Mein Gott …«
Ich schüttle den Kopf. »Ich wollte Sie nicht in eine schwierige Lage bringen. Leider habe ich es trotzdem getan. Im Augenblick kann ich nicht ganz klar denken.«
»Aber Sie wissen doch nicht mit Sicherheit, dass sie es ist, oder? Sie wissen noch gar nichts.«
»Nein.«
»Es könnte irgendjemand sein. Jemand … anders.«
»Ja.«
»Wann werden Sie es erfahren?«
»Das steht noch nicht fest.«
»Oh.«
Sie reißt sich zusammen und funkelt mich an. »Das können Sie mir nicht antun. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Sie müssen es ihnen so bald wie möglich sagen. Das kann ich nicht mit mir herumtragen. Niemals.«
»In Ordnung. Ich fahre morgen hin und sage es ihnen.«
»Als Erstes. Versprochen?«
»Ja, versprochen.«
Das hatte ich nicht geplant, aber egal. Es ist das Mindeste, was ich tun kann.
»Wie gesagt, wir wissen noch nichts Genaues. Die … Überreste können auch schon seit zwanzig Jahren dort liegen. Es könnte irgendjemand sein.«
»Aber es könnte auch sie sein. Das denken Sie doch.«
Die Traurigkeit, die ich empfinde, ist ebenso ausgeprägt wie das Glücksgefühl, das ich vor ein paar Stunden auf der London Road erlebt habe. Die Gäste um uns herum scheinen das zu spüren und senken die Köpfe, erdrückt vom Gewicht meiner ungeschickten, dummen Melancholie. Die Kellner flüstern und huschen niedergeschlagen und mit gesenktem Blick durch den Raum. Die Crêpes Suzette welken auf unseren Tellern dahin. Sie wissen, dass sie nicht erwünscht sind.
Während wir auf die Rechnung warten, sammle ich Kraft für einen letzten Frevel. Ich werde so bald keine zweite Chance dafür bekommen. Und ich habe ohnehin nichts mehr zu verlieren.
»Darf ich Sie etwas fragen?«
Sie blinzelt mich über die Zigarette hinweg an, die sie sich gerade anzündet. »Ist das nicht immer eine dumme Frage?«
»Doch. Aber Sie müssen ja nicht antworten. Sind Sie glücklich mit ihm?«
Sie inhaliert, wartet eine Minute und lässt den Rauch dann langsam und wie von Zauberhand verwandelt aus ihrem feurigen Inneren wieder auftauchen. Wie sehr ich Raucher beneide; sie haben immer einen Vorwand, um sich mit etwas Zeit zulassen. Ihr Blick ist ganz weit weg – in der Vergangenheit? In der Zukunft? Bei ihm? Dann kehrt er zurück zu mir.
»Verdammt, Sie sind wirklich nicht zu retten.«
Vor dem Restaurant fragt sie mit aufrichtiger Neugier: »Wie kam es zu dieser … Ehrlichkeit? Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, was ich gesagt habe.«
»Lügen tun Menschen weh.«
»Die Wahrheit auch, das kann ich Ihnen versichern.«
Ich habe es nicht anders gewollt.
»Okay, ja … aber nur, wenn sie auf eine Lüge folgt. Das Lügen richtet den eigentlichen Schaden an. Jedenfalls bei mir.«
»Oh. Daher die Scheidung?«
»Sieht so aus. Meine Exfrau hat mich angelogen. Sie hatte sicher ihre Gründe, aber … es hat mich fast umgebracht.«
»Ehrlich?«
Sie betrachtet mich mit wachsamem, sardonischem Interesse, als wäre ich eine neue, bemitleidenswerte Spezies, die nicht für diese raue Welt geschaffen ist.
»Mein Exmann hat mich auch belogen. Da habe ich ihn fast umgebracht.«
37
JJ
Ich habe noch nie eine ganze Nacht in Mauern eingesperrt verbracht. Schrecklich. Ich möchte am liebsten schreien. Na gut, ich war auch im Stall, aber das war kein richtiges Gebäude. Die Mauern waren dünn; Geräusche und Luft und der Geruch von Regen und Erde drangen herein. Nicht wie in einem Haus. Nicht wie in diesem Krankenhaus mit seinen endlosen Fluren und Fenstern mit doppelten Scheiben, die aussehen, als würden sie nie geöffnet – als wäre man eingeschlossen in einem riesigen Raum, dem langsam die Luft ausgeht.
Es ist höllisch heiß hier drinnen: eine stinkende, erstickende Hitze, als würde einem der Tod ins Gesicht atmen. Der furchtbare Geruch nach Krankheit und WC-Reiniger, den ich von dem Abend kenne, an dem wir Christo in die
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