Was mit Rose geschah
wohl dazu sagen? Ich beherrsche mich mit Mühe.
»Falls ich noch irgendetwas tun kann …«, bietet sie an.
Stille.
Vielleicht bereut sie schon, das gesagt zu haben.
»Gehen Sie mit mir essen. Einfach so, als Freunde«, sage ich.
Noch eine lange Pause.
Herrgott, Ray, wirst du denn nie klug?
Und dann sagt sie ja.
Es geht voran. Es geht definitiv voran. Ich habe nicht nur eine Spur in meinem Fall, auch wenn es eine winzige, hauchdünne Spur ist, Lulu hat auch meine Einladung zum Essen angenommen. Eine Verabredung. An einem Samstagabend. Zugegeben, nur als Freunde, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Nicht nur das, um halb sechs hört es auch noch auf zu regnen.
Ich gehe geduscht, rasiert und in einem neuen Hemd, das ich im Schrank gefunden habe, die London Road entlang, als ein Flugzeug triumphierend in den Himmel steigt. Die Sonne späht zaghaft blass und unsicher durch die schmelzenden Wolken wie ein Fieberpatient, der das erste Mal sein Zimmer verlassen darf. Endlich ist es sogar warm.
Und dann kommt einer dieser Momente. Sie wissen, was ich meine – wenn es hörbar klick macht und das Universum den Atem anhält. Wenn sich eine unerwartete Schönheit, ein Augenblick der Anmut entfaltet. Aus unerfindlichen Gründen ist Staines plötzlich ohne jeglichen Verkehr, ich bin ganz allein da. Im schwachen Sonnenlicht klammern sich Regentropfen an Blätter und Laternenpfähle und erblühen in einer Million winziger Flammen; auf dem öligen Asphalt entstehen Regenbogen. Ich bin umgeben von Kristall und Perlmutt. Das Flugzeug ist dem Blick entschwunden. Man hört kein Geräusch – keinen Verkehrslärm, keine zirpenden Sommervögel. Niemand teilt den Gehweg mit mir, um das zu sehen. Die Straße gehört mir.
Ich atme ganz tief ein – die Luft ist mild und süß, als wäre ein parfümiertes Bataillon soeben über die Kreuzung marschiert. Ich will jubeln, den Augenblick festhalten, einfach festhalten …
Da sehe ich sie. Sie kommt in ihrem schwarz schimmernden Mantel auf mich zu, unverwechselbar wie immer, selbst auf diese Entfernung. Irgendwie schärfer umrissen als andere Leute. Nun bewegen sich die anderen wieder, die Autos scheinen vom Bann befreit. Alle Geräusche tönen wieder auf normaler Lautstärke. Sie ist allein. Ich will rennen, will, dass sie rennt, doch keiner von uns tut es. Sie sieht mich, aber ihr Schritt bleibt gleich, sie zögert nicht, zeigt keinerlei Überraschung. Ich stehe an der Ampel, als hätte ich dort Wurzeln geschlagen.
Sie lächelt ein bisschen sonderbar. »Hallo, Ray.«
»Hallo.«
Es ist so ärgerlich. So unfair. Ich habe sie nicht verfolgt. Ich habe nicht mehr an sie gedacht, seit ich mit Lulu telefoniert habe. Drei ganze Stunden lang. Und doch kauert mein Herz ängstlich in meiner Brust, nur weil ich glattes schwarzes Haar und violetten Lidschatten gesehen habe; nur weil sie Jen und meine Frau ist und es niemals eine andere gegeben hat.
»Wie geht es dir?«
»Ganz gut. Ja. Ich … bin verabredet.« Das wollte ich eigentlich nicht sagen, habe meine Worte aber nicht unter Kontrolle.
»O-oh?« Sie reißt die Augen auf und zieht das Wort in die Länge, so dass es künstlich interessiert klingt. Vielleicht ist sie doch eifersüchtig. Vielleicht …
»Ich wollte dich eigentlich anrufen. Mein Anwalt macht Druck. Unterzeichnest du die Papiere?«
»Oh Gott, ja … ich …«
Natürlich, die Scheidungspapiere. Eifersüchtig? Wie bin ich nur auf diese Idee gekommen?
»Es ist so lange her, Ray.«
Ich nicke. Natürlich. Ich weiß, dass es lange her ist. Ich habe jede Minute davon gespürt.
»Klar, sicher mache ich das.« Ich lächle, versuche es jedenfalls. Eigentlich würde ich lieber kotzen. »Okay, also … war schön, dich zu sehen. Du siehst … gut aus.«
»Danke. Du auch …«
Sie geht weiter, wobei ihr Mantel in der Sonne schimmert, und biegt bei Boots um die Ecke. Dann überquert sie die Straße und verschwindet in der Menge. Sie dreht sich nicht um. Nicht ein einziges Mal.
Woher ich das weiß? Was glauben Sie denn? Weil ich ihr folge. Ich brauche fast eine Minute, bis ich mein Gleichgewicht wiederfinde und zur Vernunft komme und ein Geschäft betrete, um mich darin zu verlieren.
Beim Essen bin ich langweilig und unbeholfen. Falls Lulu sich wundert, wo ich sie doch zuvor so gedrängt habe, erwähnt sie es nicht. Ich entschuldige mich, einmal vor der Bestellung, einmal während der Vorspeise und ein drittes Mal beim Steak, und schiebe es auf die Müdigkeit. Ich
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